Die deutsche Seele
durch die Verbindung von Gerüst und Füllwand erhält.
Es geht um eine Baumethode, die alle Epochen unbeschadet überlebt hat, weil sie ihren Zweck optimal erfüllt und von keiner Weiterentwicklung abhängig ist. Es ist wie mit dem Zündholz, das seit Jahrhunderten gleich ist und es auch bleiben wird.
Kurzum, der Fachwerksbau ist in den aktuellen Wohntrend ideal eingepasst. So wirbt ein Unternehmen im Frühjahr 2011: »Unsere Klimalehmprodukte schaffen beste wohngesunde Wohlfühlräume.« Die Firma stellt Fachwerkziegel her.
Für die Beständigkeit des Fachwerkhauses ist aber weder Herkunft noch Dauerhaftigkeit ausschlaggebend, sondern seine Unverwechselbarkeit. Was unverwechselbar ist, ist letzten Endes nicht nur ein technisches, es ist vor allem ein ästhetisches Phänomen. Mit anderen Worten, das Fachwerkhaus ist schön, und es gilt auch als schön. Seine Schönheit prägt immer noch zahllose Innenstädte im heutigen Deutschland. Manche haben sogar durch Rekonstruktion die historischen Stadtkerne gezielt wieder mit dem Wahrzeichen Fachwerk versehen. Ein Beispiel dafür gibt es in Hildesheim. Das Knochenhaueramtshaus gilt als schönstes Fachwerkhaus der Welt. Das kleinste bewohnte hingegen steht in Mosbach, es ist das Kickelhainhaus mit 52 Quadratmetern auf mehreren Etagen, und das größte überhaupt ist in Halle an der Saale, bei den Franckeschen Stiftungen zu sehen.
Das Fachwerkhaus ist zwar keine deutsche Erfindung, es wurde aber von den Deutschen angenommen wie von keinem anderen Volk und dadurch gewissermaßen eingedeutscht. Der Grund mag im weitgehend handwerklichen Charakter der Sache liegen, zu dem wir Deutschen neigen, das aber kann nicht alles sein. Es ist letzten Endes eines der Erfolgsgeheimnisse des deutschen Mittelstands: die Gabe, die Aneignungsfähigkeit vor die Anpassungsbereitschaft zu setzen. Man eignet sich etwas an und macht es perfekt. So wird das Übernommene zum deutschen Markenzeichen.
Das Fachwerkprinzip folgt einer Grundidee der Baukunst. Indem das bezugsfertige Haus sein Gerüst sichtbar bleiben lässt, wird die Bautechnik zum Detail der Erscheinungsform, zum Ornament. Diese Doppelung macht das Fachwerkhaus leicht und gleichzeitig sicher, wie ein Luftschiff am Boden. Die Wahrheit ist, man wird sich eher Hans Sachs, den Meistersinger und Mann der Zunft, als den frei denkenden Walther von der Vogelweide als Bewohner eines Fachwerkhauses vorstellen.
Nun ist das Fachwerk weder die einzige zur Verfügung stehende Hausbautechnik, noch ist es eine besonders spektakuläre oder gar raffinierte. Es handelt sich eher um eine Tradition und ihre Glaubwürdigkeit. Das Traditionelle zeigt sich mit der allgemein nachvollziehbaren Technik. Jeder versteht, wie ein Fachwerkhaus gebaut ist, jeder kann es lernen. Wem das Ikea-Prinzip des Zusammenschraubens zu banal vorkommt, der möge sich dem Fachwerkhaus widmen. Ein solches Haus lässt der bekennende Bauherr in Friedenszeiten als Luxushaus bauen, er weiß aber auch: Kämen andere Zeiten, ungeregelte, könnte man in der Not, mit dem bisschen an handwerklicher Begabung, so hat man es ihm erklärt, ein Fachwerkhaus auch selbst errichten. Das beruhigt. Eine Million dieser Häuser soll es auf deutschem Boden geben.
Die deutsche Stadt, der Stadtkern, die Phantasie davon, sind vom Fachwerkhaus geprägt. Wer in Wismar den Marktplatz verlässt, steht in engen Gassen zwischen den Fachwerkhäusern. Hier wurde 1922 Nosferatu gedreht, der große stumme Film von der Angst.
Die deutsche Stadt ist im Mittelalter entstanden, und dieses war auch die Zeit, in der man sich für den Fachwerkbau entschieden hat. Mit der vielfältigen Wiederentdeckung des Mittelalters seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist auch das Interesse für das Fachwerkhaus als Teil deutsch verstandener Traditionen gewachsen.
Ein Fachwerkhaus bewohnen ist wie einem Hobby nachgehen. Der Mann braucht seine Modelleisenbahn nicht mehr, die Frau kann auf ihre Online-Strickrunde verzichten. Man besucht stattdessen Wochenendseminare, um sich für die Fachwerkhausreparatur zu qualifizieren. Diese Seminare haben, neben aller Einübung von Handfertigkeit, auch etwas Künstlerisches, selbst wenn es nicht ausdrücklich um die Kunst geht, aber immerhin um den Lehm. Den Lehm formt man in der Bautechnik und in der Therapie.
Beim Fachwerkhaus denkt man zunächst einmal, es ginge um das Holz. Danach denkt man, es gehe um den Lehm. Eichenholz, erfährt man, sei das beste. Wen wundert es? Eiche
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