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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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>Artikel für Huren<.« In den folgenden Jahrzehnten wird sich der Verfasser, der seinen Namen sinnigerweise zu »Heinrich Scham« eindeutscht, als fanatischer Antisemit hervortun.
    Aber beileibe nicht alle Gegner des eingeschnürten Frauenleibs sind Präfaschisten. Der Wunsch nach »Reformkleidung«, in der frau sich ungehemmt bewegen kann, ist bei den Frauenrechtlerinnen der Jahrhundertwende ebenso stark wie bei den Ausdruckstänzerinnen, die den Tanz in jeder Hinsicht vom starren Korsett befreien wollen. Gesucht wird nach einer Schönheit, die keine äußeren Regeln mehr befolgt, sondern einzig aus der eigenen Empfindung strömt.
    Neben diesen Anhängern einer expressiv gewendeten Innerlichkeit gibt es die gegenteilige Bewegung, die gut hundert Jahre nach der Weimarer Klassik das Land der Griechen mit der Seele sucht - und mit dem Leib. Betrachtet man Fotografien, die in Nudisten-Zeitschriften wie Deutsch Hellas oder Die Schönheit abgedruckt sind, hat man den Eindruck, die antiken Statuen und Reliefs, die Johann Joachim Winckelmann einst aus griechischer Erde ausgrub, um sie ins deutsche Bewusstsein einzupflanzen, seien jetzt, in der Weimarer Republik, mit Haut und Haaren auferstanden.
    Wenig gemein mit dieser Art von kriegerischer Körper-Elite hat der sozialistische Strang der Naturisten-Bewegung. Sein prominentester Vertreter ist Adolf Koch, der unter dem Motto »Wir sind nackt und nennen uns du« in der Weimarer Zeit einen FKK-Verein am Motzener See, eine Zeitschrift und verschiedene »Körperkulturschulen« gründet, die bis zu 70000 Mitglieder zählen. Hier geht es nicht um heldische Leibes-Veredelung durch »Deutsche Gymnastik«, wie Suren sie propagiert, sondern um die Befreiung des geschundenen Arbeiterkörpers durch Heil- und Ausgleichssport. Ein Gesinnungsgenosse von Koch erklärt 1930 in dem populären Nudisten-Magazin Licht-Land, warum dies nackt zu geschehen habe: »Wenn der Angestellte oder Arbeiter an seinem arbeitsfreien Tage als Lichtfreund in die Natur hinauswandert und dort seine Kleider von sich wirft, so macht er sich von allen Unterschieden frei, welche Kleidung, Rang und Besitz hervorrufen, und damit frei von dem Hasse, der in jedem vom Leben stiefmütterlich behandelten Arbeitsmenschen lebt und sich gegen seine besser gestellten Mitmenschen richtet […] Er wird also wenigstens seinen Lichtsonntag als freier Mensch unter freien Menschen verbringen können. Je tiefer die Lichtbewegung in das deutsche Volk eindringen wird, desto mehr wird sich unser Volk zu einem brüderlichen Ganzen zusammenschweißen. An die Stelle heuchlerischer Demokratie wird edler Gemeinsinn treten.«
    Die Hoffnung, dass alle Menschen Brüder würden, begegneten sie sich nur hüllenlos, erfüllt sich nicht. Schuld daran ist nicht nur, dass die Differenz zwischen einem Zylinder- und einem Schiebermützenträger harmlos ist im Vergleich zu der Kluft, die sich zwischen einem nackten Athleten und einem nackten Fettwanst auftut. (Soziale Gerechtigkeit herrschte nur dann, wenn unter jedem Zylinder ein Fettwanst und unter jeder Schiebermütze ein Athlet zum Vorschein käme.) Schuld sind auch unappetitliche Figuren wie Richard Ungewitter, die bereits im ausgehenden Kaiserreich von der »planmäßigen Züchtung schöner, rassereiner, gesunder Menschen« träumen und in der Großstadt deshalb nicht nur einen heiklen Moloch, sondern das »Rassengrab des nordischen Menschen« sehen. Der ehemalige Gärtnereigehilfe wird zur Frontfigur eines völkischen Nudismus, in seiner »Loge [später: Treubund] des aufsteigenden Lebens« versammeln sich bereits 1911 all jene, die davon überzeugt sind, dass »Juden […] für das deutsche germanische Volk ebenso wie Neger und anderes minderwertige Rassengesindel in jeder Beziehung Gift« sind.
    Allerdings sind es nicht seine völkischen Umtriebe, die Ungewitter mit seinen Publikationen sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik immer wieder in Schwierigkeiten bringen. Die katholischen »Männervereine zur Hebung der Sittlichkeit« haben die nackten Rassisten nicht weniger als die protestantischen, von Griechenland träumenden, Ger werfenden oder sozialistischen Enthüllungs-Künstler im Verdacht, dass sich hinter dem ganzen Sonnen-Getöse letztlich bloß Schweinkram verbirgt. Auch die Justiz, die sich seit 1900 auf einen umfangreichen Paragraphen gegen die Verbreitung unzüchtiger Schriften stützen kann, knöpft sich die »Nackenden« jeglicher Schattierung immer wieder vor. Mit

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