Die deutsche Seele
Ausnahme von Adolf Koch, der an seinen »Körperkulturschulen« sexuelle Aufklärung betreibt und mit dem berühmtesten Sexualforscher der Weimarer Zeit, Magnus Hirschfeld, zusammenarbeitet, sind deshalb alle Licht- und Luftmenschen heftig darum bemüht, ihre Nacktheit als »keusch« darzustellen und den Nudismus als Mittel, die »krankhaft gesteigerte« Sinnlichkeit der Zeit mit ihrer verdrucksten Lust an Hinterzimmer-Pornographie und Revue-Girls wieder auf ein natürliches Maß zu reduzieren. Dennoch kann man sich die hedonistischen Nudisten, die mit ihrer gemischtgeschlechtlichen »Körperkeckheit« die Spießer durchaus brüskieren wollen, gut vorstellen, wie sie in einem Nachtclub Anita Berber bei deren »Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase« zujubeln. Nur Ungewitter und seine Mannen werden dazu verdammt gewesen sein, durchs Astloch zu blinzeln.
Die Nationalsozialisten setzen dem nackten Treiben schnell und entschlossen ein Ende. Bereits am 3. März 1933 erklärt der preußische Minister des Inneren Wilhelm Frick in einem Runderlass zur Bekämpfung der Nacktkulturbewegung: »Eine der größten Gefahren für deutsche Kultur und Sittlichkeit ist die sogenannte Nacktkulturbewegung […] Die Nacktkulturbewegung ertötet bei den Frauen das natürliche Schamgefühl, nimmt den Männern die Achtung vor der Frau […]« Da hilft es auch nichts, dass die Völkischen ihren Nudismus doch stets mit der »gesunden Zuchtwahl« gerechtfertigt haben, weil »jedes deutsche Weib, [würde es] öfter einen nackten germanischen Mann sehen, […] nicht so vielen exotischen Rassen nachlaufen« würde. Im ganzen Land werden FKK-Gelände von Mitgliedern der SA und der Hitler-Jugend verwüstet.
Am heftigsten kollaboriert der militärische Nudist Hans Suren mit den Nazis. Diese bedanken sich, indem sie ihm den pompösen Operettentitel »Sonderbevollmächtigter des Reichsbauernführers für Leibeserziehung und Inspekteur im Reichsnährstand« verleihen. Allerdings vermag auch er sie nicht davon zu überzeugen, die braun-schwarzen Uniformen im Interesse der Körperertüchtigung öfter mal fallen zu lassen. In einem Brief des Reichsausschusses für Volksgesundheit an den Erfinder der Suren-Gymnastik heißt es 1935: »Wie können rassische Güter, d.h. in der Erbmasse verankerte Anlagen, durch äußere Einflüsse wie Sport und dergleichen gebildet werden?«
Nicht einmal der Rassist Ungewitter, der weniger auf Gymnastik denn auf die Gene setzt, vermag im NS-Staat Karriere zu machen. (Dafür ernennt ihn der Deutsche Verband für Freikörperkultur 1953 zum Ehrenmitglied.) Die andere Frontfigur des völkischen Krawall-Nudismus, jener Heinrich Pudor, der erst den Begriff »Nacktkultur« geprägt hatte, um sein Leben dann dem »Kampf gegen Juda für die arische Rasse« zu widmen, wird von den Nazis aus dem Verkehr gezogen: Im November 1933 nehmen sie ihn in Schutzhaft, weil er sich in seinem Magazin Hakenkreuz u. a. über die zu lasche Judenpolitik des neuen Regimes beschwert. Hans Suren, dessen Sonnenbuch in einer völkisch nachgerüsteten Ausgabe auch im »Dritten Reich« Bestseller bleibt, wird 1942 wegen »Erregung öffentlichen Ärgernisses« zu einer Geldstrafe verurteilt - zwei Nachbarinnen wollen ihn mehrfach beim Onanieren auf seiner heimischen Terrasse beobachtet haben.
Der Erfinder der »Deutschen Gymnastik« Hans Suren.
Das Gros der Nudisten verhält sich hingegen so, wie sich das Gros der Deutschen insgesamt verhält: Man arrangiert sich und versucht, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Schon im April 1933 bekennt sich der FKK-Reichsverband zum NS-Staat und beschließt sich gleichzuschalten. Als »Kampfring für völkische Freikörperkultur« und »Bund für Leibeszucht« darf man auch weiterhin dem Sonnenkult huldigen. 1942 - während im östlichen Teil des Reichs Millionen von Juden nackt in Gaskammern getrieben werden - gelingt es, eine neue »Polizeiverordnung zur Regelung des Badewesens« durchzusetzen, die in der Bundesrepublik (mit Ausnahme von Bayern) bis in die sechziger Jahre hinein Bestand haben wird. Demnach dürfen »einzelne Personen oder Personengruppen gleichen oder verschiedenen Geschlechts […] auch öffentlich nackt baden, wenn sie unter den gegebenen Umständen annehmen können, dass sie von unbeteiligten Personen nicht gesehen werden, insbesondere auf einem Gelände, das hierzu freigegeben worden ist«. Lichtmenschentum schützt vor Blindheit nicht.
Im Nachkriegsdeutschland hat
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