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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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zwar stets ein wackliger, dennoch existiert die Kolonie in ihrer ursprünglichen Form bis 1920. (Und kann heute noch als Hotel/Museum/Konferenzcenter besucht werden.) Prominente Gäste wie der dadaistische Künstler Hans Arp, der Philosoph Ernst Bloch oder die Schriftsteller Gerhart Hauptmann und Hermann Hesse machen den »Wahrheits-Berg« zum radikal schicken Mythos.
    Doch nicht nur in der Abgeschiedenheit der bayerischen oder Tessiner Natur drängt es den Zivilisationserschöpften danach, wenigstens für einige Stunden am (Sonn-)Tag aus den Kleidern fahren zu dürfen. Auch der Großstädter möchte keinen Stoff mehr zwischen sich und dem Universum rascheln hören, wenn er die Arme zum Lichtgebet gen Himmel reckt: Nackte Haut wird zum kosmischen Kommunikationsorgan. Der »Lichtmensch« strebt danach, sich durch Nacktheit selbst neu zu gebären, auf dass er nicht länger einen von der Seele getrennten Körper habe, sondern beide zur »Körperseele« verschmelzen.
    »Ich lebe nackt und aufmerksam wie ein Hirsch.« Der Dichter Hermann Hesse beim Nacktklettern anno 1910.
    Im wilhelminischen Kaiserreich mit seinen rigiden Sittenvorstellungen stößt dieser nudistische Überschwang auf geringes Verständnis. Die ersten »Licht- und Luftbäder«, die in den 1890er Jahren entstehen, sind mehr oder weniger verbotene Orte, an denen sich die sektenartigen Zirkel heimlich treffen, um gemeinsam zu »nackten«. Erst nach dem Ersten Weltkrieg dürfen die Nudisten offiziell Grundstücke anmieten - so entwickelt sich etwa in den 192oern der Motzener See südöstlich von Berlin zur »nassen Wiege der deutschen Freikörperkultur«. Allerdings gelten auch dann strenge Auflagen: Die Gelände müssen von Bretterzäunen umgeben sein, und zwar von »astlochlosen«, damit die »Nackenden« den Spaziergänger im Sonntagsstaat nicht in voyeuristische Versuchung führen. Im offiziellen Weimar gilt, was der körper- und bewegungsfanatische Friedrich Ludwig Jahn im frühen 19. Jahrhundert behauptet hat: »Undeutsch bleibt jede öffentlich hingestellte Nacktheit.« Schaut man sich die verschiedenen Programme an, mit denen das »Nackten« zur »Kultur« erhoben werden soll, muss man jedoch sagen: Hier irrt der Turnvater. Die »öffentlich hingestellte Nacktheit« wird zu etwas sehr Deutschem. Sehnsüchte, die die deutsche Seele auch im bekleideten Zustand umtreiben, treten unverhüllt umso deutlicher hervor.
    Protestantisch gefärbte Heilserwartungen verbindet der ehemalige Pastor Magnus Weidemann, der nach dem Ersten Weltkrieg den Talar abwirft, um auf Sylt zum Maler, Aktfotografen und Mit-Herausgeber des Nudisten-Magazins Die Freude. Monatshefte für deutsche Innerlichkeit zu werden. 1923 predigt er dort in einer eigenwilligen Auslegung des Paul-Gerhardt-Lieds Jesu, meine Freude: »Gott ist Freude, Welt und Leben sind Freude. Sonnenlicht ist ihr Sinnbild. Unsere Seele ist ihr Organ. Und wer in der Freude bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm […] Die neudeutschen Menschen, Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen und Kinder - Kinder besonders, Sonnenkinder werden es sein - sie tragen die Freude in beiden heißen Händen. Sie streuen sie aus wie Blumen zum Fest, wie Samen zum Heil. Und ihr Reich wird nicht untergehen, denn es ist Gottes Reich.«
    Die Behausungen der neuen »Innerlichkeitsmenschen« sollen von allem spießbürgerlichen Einrichtungstand befreit werden, auf dass keinem mehr einfiele, dass man dort, wo »unsere Kinder unverhüllt im Naturkleide umherspielen […] eine Zigarette oder ein Gläschen Likör anbieten oder mit hohen Absätzen hereinklapperstelzen könnte«.
    Noch wütender fallen die Invektiven aus, mit denen Heinrich Pudor gegen die artifizielle Frauenmode des Fin de Siecle zu Felde zieht. Der Publizist, der in seiner Aphorismensammlung Nackende Menschen. Jauchzen der Zukunft davon träumt, ein Weib zu sein, damit er »einen Menschen an die Brust legen« und ihn mit seiner »Lebens-Milch tränken« könne, gerät in Pogromstimmung, sobald er ein Korsett erblickt: »Das einzige Mittel, das hier helfen kann, ist das, eine Liga zu gründen, deren Mitglieder sich verpflichten, jedes Frauenzimmer, das ein Korsett trägt, auf offener Straße als unanständig oder als Hure - denn die Huren haben das Korsett erfunden und einer Hure allein ist das Korsett würdig, kein anständiges Weib sollte ein Korsett tragen - auszuzischen, die Korsettläden unmöglich zu machen, dadurch dass man Plakate an ihre Schaufenster klebt,

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