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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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wurde als auf dem Fußballfeld.
    Dabei hatte es »König Fußball« nicht leicht, im Kaiserreich Fuß zu fassen. Nicht in ihren waghalsigsten Träumen dürften die deutschen Fußballpioniere vorausgesehen haben, dass der DFB eines Tages mit über 6,7 Millionen Mitgliedern der größte nationale Sportverband der Welt sein würde. Als »englische Krankheit« wurde das neue Spiel angefeindet, der schwäbische Turnlehrer Karl Planck veröffentlichte 1898 ein Pamphlet, in dem er dem »Stauchball« bescheinigte, »etwas Lümmelhaftes und Gemeines« an sich zu haben, denn »was bedeutet […] der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, dass der Gegenstand, die Person nicht wert sei, dass man auch nur die Hand um ihretwillen rührte. Er ist ein Zeichen der Wegwerfung, der Geringschätzung, der Verachtung, des Ekels, des Abscheues.«
    Anders als der Engländer trieb der Deutsche damals noch keinen »Sport«. Er widmete sich der »Leibeserziehung«. Und diese hatte bevorzugt durch Turnen oder Gymnastik zu geschehen. Allerdings drohte der deutschen Turnbewegung, die Friedrich Ludwig Jahn 1810 / 11 ins Leben gerufen hatte, im Kaiserreich der ursprüngliche Elan verloren zu gehen. Zwar brauchten sich die Turnvereine nicht mehr zu verstecken wie in den unruhigen Jahren von 1819 bis 1842, in denen sie als umstürzlerische, kryptopolitische Organisationen von der preußischen Obrigkeit verboten worden waren, im Gegenteil: Die Turnerei hatte es sogar zum anerkannten Schulfach gebracht. Andererseits war der deutsche Nationalstaat, für den die Turnbewegung seit ihrer Entstehung gekämpft hatte, 1871 Wirklichkeit geworden. Wenn der »Turnvater« in der Berliner Hasenheide die Jugend dazu ermuntert hatte, sich mit Schwebehang und Ziehklimmen fürs Vaterland zu stählen, hatte dies im napoleonisch besetzten Preußen, das den Befreiungskriegen entgegenfieberte, eine andere Strahlkraft gehabt als in der Gründerzeit - zum wirtschaftlichen Aufschwung, der nun oberstes Ziel war, vermochte der Felgaufschwung eben nur bedingt beizutragen. Dennoch versuchten die Turner, am alten paramilitärischen Ideal festzuhalten. Eben damit aber sorgten sie für den muffigen Hintergrund, vor dem der Fußball als neue, freiere Form der Körperertüchtigung zu leuchten beginnen konnte. Ganz gleich, wie zornig sie polemisierten: Auf die »Turnbewegung« folgte die »Spielbewegung«.
    Der Verdacht, dass es sich bei der »Fußlümmelei« um einen proletarischvulgären Zeitvertreib handele, ging ohnehin an den Realitäten vorbei. Vom Fußballfieber wurden zunächst die gebildeten Stände befallen. Der Gymnasiallehrer Konrad Koch, der selbst ein begeisterter Turner gewesen war, hatte das fremde Regelwerk samt Lederbällen aus England mitgebracht. Das erste Fußballspiel auf deutschem Boden fand 1874 unter seiner Anleitung mit Schülern des Martino-Katharineums in Braunschweig statt. Dem promovierten Alt-Philologen und Germanisten ging es weniger darum, einen Hauch der weiten britischen Welt in seine Heimat zu tragen. Er witterte im Fußball etwas durch und durch Deutschtaugliches. Und so rechtfertigte er den umstrittenen Import auch damit, dass »unser deutsches Turnen, so wie es sich bis jetzt gestaltet hat, […] nicht [genügt], um die Leibesübungen zur Volkssitte zu erheben«.
    Am überkommenen Turnen störte Koch vor allem, dass es nicht mehr wie in den Anfangsjahren auf grüner Wiese stattfand, sondern in stickigen Hallen. Mit diesem Einwand hatte er den Zeitgeist auf seiner Seite: Im selben rasanten Tempo, in dem sich das wirtschaftlich rückständige Deutschland zur Industrienation entwickelte, wuchs die Sehnsucht nach frischer Luft und Bewegung im Freien. Nun war aber nicht überall - zumal nicht in den explodierenden Urbanen Ballungsgebieten - ein Wald vor der Tür, der zur deutschesten aller Freizeitbeschäftigungen, dem Wandern, eingeladen hätte. Der Fußball begann zu jener Geheimwaffe zu werden, mit der Großstadtpädagogen damals schon versuchten, die Neigung ihrer Zöglinge zu Stubenhockerei und Alkoholexzessen zu bekämpfen.
    Bis heute verbinden wir mit dem Kaiserreich, dass es vor allem verdruckste Untertanen hervorgebracht hätte. Der Erfolg des Fußball-Lehrers zeigt, dass im Wilhelminismus der Wind mitnichten nur aus einer Richtung wehte. »Die Turnschulstunden aber«, schreibt Koch, »die eine an militärische Disziplin anstreifende Ordnung nötig machen, beschränken die freie Bewegung des Einzelnen zu sehr und schließen einen Verkehr der

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