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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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man andere Sorgen, als sein Heil im Nacktbaden zu suchen. Dennoch eröffnet bereits 1946, mitten im zerstörten Berlin, genauer gesagt im amerikanischen Sektor, der Sozialist Adolf Koch sein »Institut für Körperkultur« neu - auf einem gezeichneten Titelblatt der Adolf-Koch-Blätter für humanistische Erziehung reichen sich zwei Nackte vor Trümmerlandschaft die Hände. In der Bundesrepublik schließen sich die Nudisten-Veteranen im November 1949 zum Deutschen Verband für Freikörperkultur zusammen. 1953 versucht in Hannover die »fkk-jugend - Bund der Lichtscharen«, an die alte lebensreformerische Symbolik anzuknüpfen, aber ebenso wie die 68er, die in ihren Kommunen, WGs und Kinderläden das Nacktsein noch einmal zur großen gesellschaftskritischen Geste überhöhen, bleiben all diese Anstrengungen nicht mehr als ein fader Nachklang zu jenen Aufbruchsphantasien, die das wilhelminische Reich und die Weimarer Republik herausforderten. Welchen Spießer will man provozieren, wenn dieser längst selbst im FKK-Urlaub mit hängender Wampe am Campinggrill steht und seine Würstchen wendet? Allenfalls in den multikulturellen Großstädten der Gegenwart führt es wieder zu echten Konflikten, wenn hedonistische Sonnenfreunde sich im selben Park rekeln, in dem sich die türkische Großfamilie zum Wochenendpicknick versammelt.
    Mehr subversives Potenzial behält die Freikörperkultur in der DDR. Im September 1945 verbietet die Sowjetische Militäradministration sämtliche FKK-Vereine. Die Ost-Nudisten wollen sich die blanke Freude jedoch nicht so einfach nehmen lassen: Der ehemalige »Prießnitz-Verein« in Erfurt etwa benennt sich schlicht in »Kleingartenverein zur Sonne« um - und liefert sich ein zähes Katz-und-Maus-Spiel mit der Volkspolizei. Jahrzehnte bevor die West-Schickeria in Kämpen auf Sylt oder im Münchner Englischen Garten antritt, das nackte Leben zu genießen, macht sich die östliche Intelligenzija in Ahrenshoop von allen textilen Zwängen frei. Eine berühmte Anekdote will wissen, dass der Staatsdichter und spätere Kulturminister Johannes R. Becher beim Besuch des Ostseebades eine nicht mehr ganz junge Frau, die nackt am Strand döste, anschnauzte: »Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?« Als Becher kurz darauf den Nationalpreis erster Klasse an Anna Seghers verlieh und die Geehrte mit »liebe Anna« begrüßte, soll die Autorin von Das siebte Kreuz dazwischengerufen haben: »Für dich, Hans, immer noch die alte Sau!«
    Im Mai 1954 versucht die SED-Regierung, das wilde Nacktbaden zunächst in Ahrenshoop und später, nachdem der Spiegel im September einen höhnischen Artikel über die ostdeutschen Nackedeis gebracht hatte, an der ganzen DDR-Ostseeküste zu unterbinden. Der Arbeiter- und Bauernstaat fürchtet um seinen internationalen Ruf. Allerdings steht das Regime argumentativ nicht gut da, schließlich können die prominenten Nudismus-Befürworter wie Traute Richter, Schauspielerin am Staatstheater Dresden, darauf verweisen, dass die einschlägige Polizeiverordnung aus der Nazi-Zeit stammt - und dass Badeanzüge oder gar der eben erfundene Bikini dem Geist des kapitalistischen Materialismus verhaftet seien. Wohl oder übel gibt die Partei bereits 1956 das uneingeschränkte Nacktbaden an »entsprechend gekennzeichneten« Orten frei: Der FKK-Strand wird zur bevorzugten Nische im real existierenden Sozialismus.
    Es hat etwas archaisch Befreiendes, sich nach einer Wanderung die verschwitzten Kleider vom Leib zu reißen und in einen kalten See zu springen. Dennoch wäre es schön, wenn auch der Gelegenheitsnudist das erinnernswerteste ästhetische Credo im Sinn hätte, das Johannes R. Becher hinterlassen hat: »Habt Mitleid! Zeigt Erbarmen! Schont die Augen der Nation!«
    Böse Zungen berichten übrigens, den Dichter selbst nackt in Ahrenshoop angetroffen zu haben.
     
    >Abgrund, Bruder Baum, Feierabend, Gründerzeit, Jugendherberge, Reinheitsgebot, Schrebergarten, Strandkorb, Vereinsmeier, Wanderlust, Winnetou

Fussball
     
    Eines ist gewiss: Nicht wir haben jenes Spiel erfunden, bei dem 22 Mann (seit einer Weile auch Frau) neunzig Minuten lang hinter einem Ball herrennen und am Schluss immer die Deutschen gewinnen. Den Fußball-Erfinder-Pokal mögen Chinesen, Italiener oder Franzosen den Engländern streitig machen. Gewiss ist aber ebenfalls, dass das deutsche Talent, sich Fremdes anzuverwandeln, bis am Schluss alle meinen, es handele sich um eine urdeutsche Angelegenheit, auf keinem Feld sichtbarer

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