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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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stattfand, sondern die Rückkehr zur Restauration, die bitter nötig war. Es war die Restauration der Normalität. Der deutschen und der europäischen. Deutschland lag für alle sichtbar wieder in der Mitte Europas und auch in seinem Zentrum. Die deutsche Realität hat nach einem halben Jahrhundert mit dem deutschen Selbstverständnis gleichziehen können. Die Vorgeschichte biegt wieder wie selbstverständlich in die Geschichte ein.
    Es ist die Suche nach immer neuen Gründen für das Zustandekommen des »Dritten Reichs«, die den Blick auf den Rest der deutschen Geschichte verzerrt und damit auch die historische Wahrheit. Warum wollen wir nicht endlich einsehen, dass das »Dritte Reich« keine zwangsläufige oder gar schicksalhafte Folge deutscher Geschichte war, sondern das Ergebnis eines kollektiven moralischen Zusammenbruchs?
    Erst das fehlende Vertrauen in die Weimarer Republik und damit in die Demokratie und deren auf der Verfassung ruhenden Institutionen hat den Wahlsieg und die Ermächtigung eines Hitler möglich gemacht.
    Man hat nach der goldenen Regel des modernen Extremismus das Wahlsystem zur Abwahl des Systems genutzt, um danach noch mit deutschem Drang zur Vollständigkeit ein Ermächtigungsgesetz zur Anwendung zu bringen. Wie es aber kommen kann, dass eine Gesellschaft sich von einem Barbaren verführen lässt, weil dieser den Handkuss beherrscht, kann man immer wieder von Neuem beobachten.
    Eine Gesellschaft setzt sich nur die Grenzen, die ihr nach erfolgter Katastrophe abverlangt werden. Wem die Ordnung nicht mehr göttlich erscheint, der braucht wohl die Erfahrung der verbrannten Erde, um sich zu orientieren. In der allgemeinen Ratlosigkeit folgt auf die »Entzauberung der Welt«, wie Max Weber es formulierte, der Versuch der Wiederherstellung des Zaubers, mit dem Ergebnis, dass aus den einschlägigen Mythen Fetische werden und aus den Zeremonien Rituale. Die Welt muss nur gnadenlos choreografiert werden, und schon sieht sie wie ein Parteitag aus und der Hauptredner wie der Erlöser. Eine der folgenreichsten Angelegenheiten in der säkularen Gesellschaft ist die galoppierende Entwertung des Jesus-Auftritts.
    Die Weimarer Republik, die wir bis heute gern aus dem Blickwinkel des damals in der Nähe des Berliner Nollendorfplatzes logierenden Christopher Isherwood, des späteren Autors der Romanvorlage für den Film Cabaret, betrachten, hatte keine Autorität in der deutschen Gesellschaft. Schon die Tatsache, dass ihre Ausrufer, um die Staatsrechtlichkeit zu adressieren, nach Weimar auswichen, weil ihnen in Berlin das politische Parkett zu unsicher vorkam, hätte zu denken geben können. Die Weimarer Verfassung wurde von einer Verlegenheitsmacht in Kraft gesetzt, die selbst nicht ganz von ihrer Legitimität überzeugt war. So ging sie zu Goethe und Schiller, nicht um das Volk zu überzeugen, sondern um es für sich zu gewinnen.
    Hat man in Artikel i den ersten Satz (»Das Deutsche Reich ist eine Republik«) gelesen, ist man sich nicht ganz sicher, ob es sich nicht doch um eine Drohung handelt. Der zweite Satz hört sich danach fast verschämt an. Er lautet: »Die Staatsgewalt geht vom Volk aus.« Dazu lässt sich sagen: So wie die Politik ihren Auftritt in verschiedenster Weise zu gestalten vermag, so kann auch das Volk in höchst unterschiedlicher Formation in Erscheinung treten.
    Es erübrigt sich natürlich zu fragen, was gewesen wäre, hätte man 1918 nur den Monarchen und nicht die Monarchie abgeschafft. Der Konjunktiv schreibt bekanntlich nicht Geschichte, und selbst die Geschichten, die er zu erzählen vermag, wirken im realen Nachhinein wenig überzeugend.
    Trotzdem: Das wilhelminische Kaiserreich entwickelte für sich eine durchaus gelungene Kompromissformel zwischen Monarchie und republikanischem Geist. Es war, jeweils nach Betrachtungsweise, sicherlich mehr und ganz sicher auch weniger, als jede konstitutionelle Monarchie der Zeit zu bieten gehabt hätte. Der Kaiser konnte sich zwar zum Chef der Verfassungsdeutung erklären oder sich auch dafür halten, die republikanischen Kräfte konnte er aber nicht ignorieren. Das Kaiserreich funktionierte weitgehend, weil sich beide Seiten Illusionen machen konnten. Die einen glaubten an den Kaiser, die anderen ans Parlament. So hatte die Monarchie Konstitution.
    Das Kaiserreich war halb gottgegeben, halb selbst gebastelt. Es folgte einer deutschen Kleinbürger-Lieblingsrezeptur: mit dem Gottgegebenen kokettieren und in der Sache kräftig mitmischen. Zu

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