Die deutsche Seele
das Grundgesetz aber die Freiheiten verwaltet, hütet die Präambel die deutsche Staatsräson: »Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.«
Dass diese Präambel 1990 im vereinigten Deutschland konsensfähig sein konnte, zeigt wiederum, dass beide deutsche Nachkriegsgesellschaften nicht bloß amerikanisch oder sowjetisch waren, sondern zunächst einmal, wenn auch unterhalb des Politischen, deutsch geblieben sind. Der Wille zu Deutschland hat seine Alchemie nicht eingebüßt, und das trotz der Versuche ganzer Kohorten von Denkern in Ost und West, sie auszumerzen. Unser kulturelles Antlitz war nicht zur Fratze zu machen. Die Zeiten, in denen ein Bundespräsident die Frage nach der Vaterlandsliebe mit dem Bonmot meinte beantworten zu können, er liebe seine Frau, sind vorbei. Man darf die Nationalfarben wieder tragen.
Germania ist vielleicht nicht anmutig, dafür aber standfest.
Laut Grundgesetz ist der Souverän in unserem Staat das Volk. Das aber ist nicht etwas, was uns von anderen Völkern unterscheiden würde. Das, was uns unter Umständen unterscheiden könnte, ist vielmehr die Rolle jener kritisch gestimmten Intellektuellen, die im Lauf der Jahrzehnte aus der Gesellschaftskritik einen Sport gemacht haben: Nicht »Wer wagt mehr?« zählt, sondern ein krachendes »Wer warnt mehr?«. Sie haben alles »Deutsche« ins Lächerliche gezogen, weil sie glaubten, in unseren Eigenschaften den Grund für die Katastrophe gefunden zu haben. Auf diesen Irrweg hat sie ein Großmarxist wie Georg Lukäcs geführt, der die deutschen philosophischen Waldspaziergänge kurzerhand dem Irrationalismus zuordnete. Die Torheit des Meisters sei mit einem Zitat aus Die Zerstörung der Vernunft belegt: »Einerseits haben das englische und das französische Volk einen großen Vorsprung vor dem deutschen dadurch gewonnen, dass sie ihre bürgerlich-demokratischen Revolutionen schon im 17. beziehungsweise am Ende des 18. Jahrhunderts ausgefochten haben, andererseits aber hat das russische Volk gerade infolge seiner verspäteten kapitalistischen Entwicklung seine bürgerlich-demokratische Revolution in die proletarische überleiten können und hat sich dadurch Leiden und Konflikte erspart, die noch heute für das deutsche Volk bestehen.«
So hat man sich letzten Endes selbst ins ideelle Aus manövriert. Diese Diskurshüter waren weltweit die Einzigen, die 1989 darüber staunten, dass die Menschen auf den Straßen im Osten und vor dem Fernseher im Westen gleichermaßen ein vereinigtes Deutschland befürworteten.
Dem hatten die genervten Kleingeister mit der sonst spitzen Feder kaum etwas entgegenzuhalten. Unter dem Pflaster war kein Strand. Die beliebte Frankfurter Parole von 68 war falsch.
So gingen sie zum Gegenangriff über. Das Volk habe die Ideale des Kommunismus verraten, hieß es in den Theaterkantinen von Berlins neuer Mitte, weil es nicht imstande gewesen sei, für eine Übergangszeit von zwei- bis dreihundert Jahren auf den Verzehr von Bananen zu verzichten. So die Sprecher der vernunftbegabten Intelligenzija, von Stefan Heym bis Heiner Müller.
Sie versuchten es vorübergehend mit Scharmützeln: Es sollte eine ganz neue Verfassung geschrieben oder wenigstens die Hymne gewechselt werden. Und das allein schon deshalb, weil die Ostdeutschen 1949 nicht mitreden konnten. Statt des Deutschlandlieds sollte nach dem Willen mancher Brechts Kinderhymne erklingen: »Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Dass ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land.«
Damit hatten sie sich nur ein weiteres Mal blamiert. Die Disqualifikation hatten sie noch früher selbst in die Wege geleitet, indem sie sich in der Nachkriegszeit gegen die Bundesrepublik stellten und für die DDR warben, zumindest um Verständnis für diese. Während ihnen die Bundesrepublik als restaurativ galt, war die DDR mit
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