Die deutsche Seele
kaum noch vorstellen, dass unter den Bedingungen des Mittelalters ein geregelter Handel möglich gewesen sein soll.
Es gibt eben harte Zeiten, und es gibt bequeme Zeiten. In harten Zeiten denkt man nicht sofort an die Gefahren, denn das meiste, was man unternimmt, ist ein Wagnis oder sogar ein Ding der Unmöglichkeit. In den bequemen Zeiten hingegen kann einem nichts sicher genug sein, um sich darauf einzulassen.
Talent für den Handel wird den Deutschen ziemlich selten nachgesagt. Angesiedelt zwischen den Weltmeistern der Verwandlung von Werten in Waren, den Engländern und den Holländern, und den der Subsistenzwirtschaft zugewandten, auf den Eigenbedarf orientierten Slawen unterscheiden sich die Deutschen von ihren westlichen Nachbarn durch ein geringeres Interesse an Kauf und Verkauf, von ihren östlichen Nachbarn wiederum durch ein auffallendes Engagement bei der Überwindung der Subsistenz.
Dem Westen erscheint die deutsche Ordnung als staatliche Einmischung in die Marktwirtschaft, für den Osten ist die Organisation des Warenverkehrs der Ausdruck eines übertriebenen Ordnungseifers. Deutschland, eingeklemmt zwischen West und Ost? Dieser prekären Lage versucht es seit eh und je durch seine Nord-Süd-Verbindung zu entgehen. Diese Bindung Deutschlands begleitet seine gesamte Geschichte, seine kulturellen Entscheidungen, ob es nun um den Papst geht, um die Italien-Sehnsucht oder um die Antike. Deutschland wäre gern ein Anrainer am Mittelmeer, und das nicht nur der Strände, sondern der historischen Größe wegen. Da es aber de facto kein Anrainer ist, versuchte es, sich lange Zeit zumindest in den Symbolen der Kultur den träumenden Ufern anzunähern. Zumindest unsere Dichter und Denker wurden zeitweise zu verkleideten Griechen. Das beeindruckte vor allem uns selbst, und so war es ja auch gemeint.
Der Süden, der wirkliche, aber genügt sich, er ist darin dem Westen ähnlich, obzwar der Beweggrund ein ganz anderer ist. Wenn für den Süden die Anrufung der großen Vergangenheit, deren Trümmer überall zu besichtigen sind, ausreicht, so gilt für den Westen die Kompetenz zur Ausrufung der Moderne und der Moden. Worauf es aber ankommt, ist die Erkenntnis, dass man weder den Westen noch den Süden beherrschen kann.
Selbst wenn man den Süden erobert, kann man nur in ihm aufgehen. Alle Sieger über Rom und Athen sind untergegangen. Rom und Athen sind zwar längst nicht mehr das, was sie einmal waren, im Grunde sind sie gar nichts mehr, aber ohne ihre Kultursymbolik ist alles andere in Europa nicht der Rede wert. Sie haben die Grammatik der europäischen Kultur gesetzt. Danach haben sie für ein paar Jahrhunderte die Schafe weiden lassen. Aus Verzweiflung oder aus Trotz, wer kann das schon wissen? Vielleicht war es auch nur der Anblick von uns Barbaren, der sie zur Resignation brachte. Die mit den Mitteln der freien Natur praktizierte Denkfaulheit nützte ihnen aber gar nichts. Sie hatten in den Augen der regelmäßig zur Stippvisite und zwecks Ausgrabung anwesenden Deutschen mit ihrer Schafzucht die Anakreontik erfunden. Man kann das eigene Bild in den Augen des anderen schlecht korrigieren. Von dieser unauffälligen Macht des Missverständnisses profitierten die Deutschen in ihren erfolgreichsten Denkmustern. Was wäre der deutsche Idealismus ohne die griechische Philosophie?
Der Westen und der Süden zeigten den Deutschen die Grenzen auf. Der Westen als Inhaber des Marktes, als Zöllner und Protektor, der Süden als Kenner des Erbes, als Verwalter von Bibliotheken, von Schätzen auf Pergament und Papier, von Bewiesenem und Erwiesenem, von Gedachtem und Ausgedachtem, von Gesetzen und Gesetzeskraft. So wurden wir zu Kunden und Touristen.
Offen war der Verlauf der Geschichte nur zur slawischen Nachbarseite der Deutschen im Osten. So kam es seit dem frühen Mittelalter zur Ostsiedlung, die vor allem zu Städtegründungen im slawischen Siedlungsgebiet führte und dort primär das Handwerk bekannt machte, und nicht zuletzt das Stadtrecht.
In den Anfangszeiten der Ostsiedlung, im 12. Jahrhundert, spielte der Deutsche Orden speziell in den Ostseegebieten die entscheidende Rolle, er sollte auch für die Hanse unverzichtbar sein. Der Hochmeister in Person galt als Hanse-Mitglied, und so schützte der Orden die Handelswege der Kaufleute ins Baltikum.
Die Hanse stellt ein in mehrfacher Hinsicht erstaunliches Ergebnis von Handelstätigkeit und Handelspolitik dar. Als Interessengemeinschaft von Kaufleuten aus dem
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