Die deutsche Seele
Länderchefs. Sie wollen keinen neuen Westzonenstaat, sondern verlangen von den Alliierten lediglich eine »einheitliche Verwaltung« der drei Besatzungszonen. Die Ministerpräsidenten fürchten alles, »was geeignet sein könnte, die Spaltung zwischen West und Ost weiter zu vertiefen«. Dies soll General Lucius D. Clay, Chef der amerikanischen Besatzung, so kommentiert haben: Ein »sonderbarer Zustand […] Ich als Vertreter einer Siegermacht will den Deutschen Vollmachten geben, und die Deutschen erklären, diese Vollmachten gar nicht in Anspruch nehmen zu wollen.« Er hat dann wohl die Länderchefs von Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden zu sich ins LG.-Farben-Haus in Frankfurt zitiert und gewettert: »Sie haben mit Ihren Entschlüssen Ihre wirklichen Helfer und Freunde, die Amerikaner, brüskiert […] Wenn wir im Westen nicht hier wären, wären Sie längst russisch.«
So hatten sich die zurechtgewiesenen, zögerlichen Deutschen an die Rekonstruktion ihres Staates zu machen. Und schon stand die Frage an: Welches Deutschland kann, und vor allem, welches darf es sein? Die Verfassungsmacher trafen sich zur Klausur im abgelegenen Bonn, und am Ende stand nicht nur fest, was alles nicht mehr zu retten war, sondern auch wohin die Reise zu gehen hatte. Bonn war nicht Weimar und sollte es auch nicht werden.
Als Verlierer sahen sich zunächst die nationalen Kräfte, und das sowohl in Trizonesien als auch in der russischen Zone, die bald nur noch »die Zone« genannt wurde. Dort richtete sich der Bolschewismus des berüchtigten Stalin per Ukas in Gestalt der Ulbricht-Seilschaft ein. Die von Ulbricht ausgegebene Parole lautete: »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.« Im Westen hingegen war die neu aufkommende politische Klasse angehalten, Marktwirtschaft und Demokratie auf- und auszubauen.
Der Unterschied zwischen West und Ost spiegelte den Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Mit dieser Erkenntnis begann nach langer Geschichtszeit der Westen in Deutschland wieder zu leuchten. Als hätte sich nach Preußens Verglühen das Abendland zurückgemeldet. Preußen, durch das Deutschland geographisch, aber auch mental nach Osten verschoben worden war, dieses Preußen wurde nun für die gesamte Tragödie verantwortlich gemacht, der preußische Geist auf den Militarismus reduziert. Das war insofern hilfreich, weil man auf diese Weise nicht Deutschland insgesamt verwerfen musste.
Man war 1949 nicht frei, hatte aber einen gewissen Spielraum. Das sahen auch die Autoren des Grundgesetzes so. Sie gingen von einer provisorischen Situation aus und vermieden alles Endgültige. Sie nannten den Rechtstext auch nicht »Verfassung«, sondern »Grundgesetz«. Und sie waren darauf bedacht, mit einer Präambel eine Klausel für die Wiederkehr der geopolitischen Normalität einzubauen. Für den Fall, das am Ende des Kalten Kriegs die Stunde Deutschlands von Neuem schlagen sollte:
»Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.«
Es ging, wie man sieht, um die nationale Einheit und staatliche Freiheit, gegen die Teilung und für die Selbstbestimmung. Das zeigt letzten Endes ein für die damalige tatsächliche Lage, in der man sich befand, beeindruckendes Selbstbewusstsein. Mit dieser Präambel wurden der bedingungslosen Kapitulation von 1945 bereits Grenzen gesetzt. 1990, als die Zeit der freien Selbstbestimmung nach vierzig Jahren gekommen war, zeigte sich der historische Wert ihrer Symbolik. Es war nicht mehr als eine geringfügige Überarbeitung nötig, um sie zum Startpassus des Grundgesetzes für das jetzt vereinigte Deutschland zu machen. Die Präambel war 1990 ebenso aktuell wie das gesamte Grundgesetz. Während
Weitere Kostenlose Bücher