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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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hat uns die Chance eines neuen, unverkrampften Zugangs eröffnet. Als Folge von Flucht und Vertreibung und des Kalten Krieges waren die deutschen Erinnerungsorte im Osten politisiert und instrumentalisiert. Es gab aber auch so viel Schmerz bei diesem Thema, dass vieles tabu war. Seit die jüngeren Generationen frei dorthin reisen, nehmen sie auch den heutigen Reichtum der Region wahr. Da wird dann nicht mehr einfach das von Eltern oder Großeltern projizierte Bild der verlorenen Heimat abgerufen, es entsteht etwas Eigenes, sehr Spannendes, indem man Polen, Tschechen, Ukrainer, Russen kennenlernt, die heute dort leben. Bei vielen deutsch-polnischen oder deutsch-tschechischen Initiativen sind überproportional viele Nachkommen von Vertriebenen dabei.
    SPIEGEL: Wie haben Sie selbst das erlebt? Ihre Großeltern kommen ja aus Ostpreußen.
    KOSSERT: Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen. Meine Großeltern sprachen nicht das übliche Plattdeutsch. Sie hatten noch diese schöne Sprachmelodie des Ostpreußischen. Da wurde an alles ein -chen drangehängt. Auch die Küche war anders: Bei den Großeltern aßen wir nicht Grünkohl mit Pinkel wie die Niedersachsen, sondern ostpreußische Grützwurst und natürlich Königsberger Klopse. Zu Weihnachten gab es ostpreußischen Pfefferkuchen, und stets fiel dieser Satz: »In Ostpreußen sind wir mit dem Schlitten zur Kirche gefahren, aber hier gibt es ja noch nicht mal einen richtigen Winter.«
    SPIEGEL: »Land der dunklen Wälder und kristall’nen Seen« heißt es im Ostpreußenlied – das klingt stark nach Verklärung.
    KOSSERT : Diese Landschaft ist Teil des Mythos. Es war die am weitesten östlich gelegene Provinz Deutschlands, eine Art »preußisches Sibirien« mit völlig anderen klimatischen
Verhältnissen, da gab es sogar freilaufende Elche. Eine archaische Region, die nichts mit den deutschen Mittelgebirgen, den Landschaften der Gebrüder Grimm, zu tun hatte.
    SPIEGEL: … die ideale Kulisse für eine Mythologisierung. Woher kommt aber das Bild, Ostpreußen sei die deutscheste aller Provinzen? Beginnt das mit dem deutschen Ritterorden, der Ostpreußen kolonialisierte?
    KOSSERT: Von der Bevölkerung her war es ja eher die am wenigsten deutsche Provinz. Auch der Deutsche Orden war nicht deutsch, er war in erster Linie religiös definiert. In seinen Reihen fanden sich viele Landsmannschaften – deutschsprachige, aber auch polnischsprachige. Schon im 14. Jahrhundert holten die Hochmeister des Deutschen Ordens polnischsprachige und litauischsprachige Siedler in das Ordensland.
    SPIEGEL: Was war ihr Interesse?
    KOSSERT : Es ging darum, Landstriche urbar zu machen, die noch Teil der sogenannten »Großen Wildnis« waren. Preußen brauchte Steuerzahler; wie sie redeten, war zweitrangig. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich in Ostpreußen eine zunehmend deutsche und zugleich antislawische Identität herausgebildet. Da wurde der Deutsche Orden zum »deutschen Auftrag im Osten« nationalistisch umgedeutet. Zu diesem Zeitpunkt begann die fatale Kette der Radikalisierung, die die Nationalsozialisten zur Perversion führten.
    Andreas Kossert
    Der promovierte Historiker, Jahrgang 1970, arbeitete von 2001 bis 2009 am Deutschen Historischen Institut in Warschau und ist seit Anfang 2010 wissenschaftlicher Referent bei der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«. Kossert schrieb unter anderem die Bücher »Ostpreußen. Geschichte und Mythos« und »Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945«.

    SPIEGEL: Aber es war doch eine Eroberung, um Heiden gewaltsam zu Christen zu machen. Und es gab eine Urbevölkerung dort: die Prussen.
    KOSSERT: Das waren tatsächlich die ersten Ostpreußen. Die baltischen Stämme waren sprachlich mit den Letten und den Litauern verwandt. Der Orden unterwarf sie, zwang sie zur Annahme des Christentums, aber er rottete sie nicht mit dem Schwert aus. Leider geriet die baltische Urtradition Ostpreußens durch die deutsch-polnisch-litauisch-russischen Spannungen um dieses Gebiet in Vergessenheit.
    SPIEGEL: Noch um 1850 wurde im Süden Ostpreußens überwiegend Polnisch gesprochen, Litauisch dafür im Norden und Deutsch in Königsberg und in der Mitte. Wie kam das?
    KOSSERT :Herzog Albrecht von Preußen sorgte bei der Einführung der Reformation 1525 als nunmehr evangelischer Landesherr dafür, dass das Evangelium tatsächlich in der jeweiligen Muttersprache verkündet wurde. An der Universität Königsberg richtete er eine

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