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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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schlesischen Fürstentümern wie Liegnitz, Brieg, Wohlau, Oels sowie der Stadt Breslau behielt das lutherische Bekenntnis die volle Freiheit. Dort, wo es die Rechte des Kaisers zuließen, in den sogenannten Erbfürstentümern,
wurde der Katholizismus nun obligatorisch. Aber der Glaubenszwang für die als katholisch oder evangelisch definierten Landesteile wurde von zahlreichen Ausnahmebestimmungen durchlöchert. Diese im Habsburgerreich einmalige Konstellation zwang zu einer Toleranz, die für dieses Land sprichwörtlich wurde. Ihr bekanntestes Symbol wurden die den Protestanten 1648 gewährten drei Friedenskirchen in Schweidnitz, Jauer und Glogau, von denen die beiden ersten erhalten und seit 2001 Teil des Weltkulturerbes sind.
    Die lange Krisenzeit des 17. Jahrhunderts, in der Krieg, existentielle Bedrohung, Pestseuchen und soziale Verwilderung zu einer allgemeinen Verunsicherung führten, setzte zugleich schöpferische Energien frei. Eine neue, tiefempfundene Frömmigkeitsbewegung und eine barocke Lebenslust suchten die Probleme künstlerisch zu bewältigen. Das begründete eine schlesische Kulturepoche, die weithin ausstrahlte. Schon seit dem Beginn der Frühen Neuzeit im 15. Jahrhundert war Schlesien dank seines Bergbaus, seines Leinengewerbes, seines Handels und seiner Landwirtschaft ein vergleichsweise reiches Land. Anspruch und Leistungsfähigkeit Schlesiens waren am Breslauer Rathaus abzulesen, das wie eine gotische Kathedrale in Jahrhunderten errichtet, erweitert und verschönert wurde. Hier wurde die Stadt regiert, wurden Bankette gegeben und humanistisches Schultheater aufgeführt. Schließlich fanden hier die Sitzungen des Landesparlaments statt.
    Das Rathaus von Breslau, der Metropole Schlesiens (1895)
    Seit 1500 gab es in den Städten eine schmale Schicht des Bildungsbürgertums, das seine Kinder auf die besten Universitäten Europas schickte. Der Plan einer eigenen Hochschule scheiterte 1505 aber am Widerspruch der Universität Krakau, wiederholte Versuche danach an der konfessionellen Spaltung des Landes. An den deutschen und europäischen Universitäten waren die schlesischen Studenten überproportional vertreten. Die geistige Elite der schlesischen Provinz verfügte mithin über einen umfassenden Horizont und eine entsprechende Kenntnis aller zeitgenössischen Strömungen und Wissenschaften. Während der Humanismus in seiner Zeit das klassische Latein als seine Bildungssprache gepflegt hatte, bevorzugte Schlesien seit dem 17. Jahrhundert Deutsch als Literatur- und Wissenschaftssprache. Publikationen in polnischer Sprache waren selten. Das war der kulturelle Nährboden dafür, um Schlesien mitten im krisengeschüttelten 17. Jahrhundert zur führenden Literaturlandschaft Deutschlands werden zu lassen. Günter Grass hat diesen Literaturfrühling später indirekt mit dem Aufbruch der Gruppe 47 nach dem Zweiten Weltkrieg verglichen.
    Für einige Jahrzehnte war Breslau zudem der Sitz der Deutschen Akademie der Naturforscher. Sie besteht noch heute in
Halle an der Saale und ist seit 2008 die Nationale Akademie der Wissenschaften. Die von ihr herausgegebene Fachzeitschrift wurde 1670 in Breslau gegründet. Sie erscheint noch heute als die weltweit älteste Zeitschrift ihrer Art.
    Waren die Naturforscher überwiegend Protestanten, so wurde zu gleicher Zeit eine katholische Universität in Breslau gegründet. Kaiser Leopold I., der seinen Namen sowohl der Akademie als auch dieser Universität verlieh, begnügte sich auf Einwände der Protestanten hin 1702 mit einer halben Universität ohne die Fakultäten für Medizin und Jura. Dafür aber wurde das neue Barockgebäude der Universität so stattlich, dass es noch heute ein Wahrzeichen der Stadt bildet.
    1740 nutzte der eben zur Regierung gelangte preußische König Friedrich II. die politische Lähmung Österreichs nach dem Tod Kaiser Karls VI., um sich den größten Teil Schlesiens gewaltsam anzueignen. Es folgten drei Schlesische Kriege, bis sich Preußen im Frieden von Hubertusburg 1763 seiner Eroberung sicher sein konnte. Zugleich löste der preußische König das Land aus der bisherigen Zugehörigkeit zu Böhmen. Damit wurde Schlesien vom süddeutsch-katholischen Österreich auf das norddeutsch-protestantische Königreich umgepolt. Schlesien erlebte eine umfassende Neuerung seiner inneren Verfassung. König Friedrich hob die bisherige Ständeverfassung und das Landesparlament auf. Die Modernisierungserfolge der preußischen Verwaltung waren bald zu

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