Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
Vom Netzwerk:
spüren und förderten die politische Akzeptanz des neuen Regimes. Dem Sonderbewusstsein Schlesiens wurde noch einige Jahrzehnte Rechnung getragen, indem Schlesien nicht der Zentralregierung in Berlin unterstellt, sondern von eigenen Provinzialministern verwaltet wurde. Das Krisenjahr 1806, in dem Preußen und die friderizianische Armee gegen Napoleon unterlagen, beendete dieses System. Schlesien wurde den anderen preußischen Provinzen gleichgestellt.

Alabaster auf dem Grab
    Schlesier wie Opitz und Gryphius prägten die deutsche Barockdichtung maßgeblich mit – doch dann galten ihre Reim- und Erzählkünste plötzlich als »Schwulst«. Ein Lehrstück über literarischen Pioniergeist.

    Von Johannes Saltzwedel

    Was bitte sollen »Leitsterne meines Haupts« sein, die »als Planeten sind gesetzet meinem Leben«? Kaum jemand käme darauf, dass die Augen der Liebsten gemeint sind. Aber sogleich folgt die nächste Hürde: »Ein faules Grab, so Alabaster deckt«, hinter diesem preziösen Sinnbild verbirgt sich die trügerisch-triste Welt. Na, wenn‘s denn sein muss. Aber darf man, was zwei im Bett tun, auch noch den »Zucker dieser Zeit« nennen?
    Barockpoesie ist bizarr und verstiegen, einfach anstrengend, urteilten Kritiker im 18. Jahrhundert. Unerbittlich hetzten sie gegen die reim- und bildseligen Literaten von einst, speziell Schlesier, die es angeblich besonders schlimm getrieben hatten. Schuld an der Misere, ermittelten dann Professoren, sei ein gewisser Martin Opitz. Mit viel Rhetorik, aber wenig Dichtergabe habe Opitz (1597 bis 1639) begabte Verskünstler reihenweise zu hohlem Wortgeklingel erzogen. Schlimmer noch: Auf die erste, von ihm inspirierte »schlesische Dichterschule« sei eine zweite gefolgt, die den verbalen Bombast vollends auf die Spitze trieb – bis der barocke »Schwulst« sozusagen von der eigenen Masse erdrückt worden sei.
    Kein Literaturwissenschaftler würde heute dieses vernichtende Urteil, das sich bis nach 1900 hielt, guten Gewissens
unterschreiben. Selbst von Dichterschulen ist kaum noch die Rede; zu eigenständig seien die Talente, zu verschieden die Resultate. Doch was Schlesien angeht, liegt die Schul-Diagnose nicht völlig daneben. Opitz brachte ja wirklich einiges in Gang. Der Sohn eines Fleischers aus Bunzlau war vom Musterschüler des Breslauer Magdalenen-Gymnasiums zum Hofpoeten aufgestiegen. Mit 20 Jahren hatte der gefällige Versifex für den literarischen Wert der deutschen Sprache plädiert – auf Latein! – und dann mit 27 sein »Buch von der Deutschen Poeterey« herausgebracht. Nicht Silben zählen, sondern Wortakzente nutzen sollte man als deutscher Dichter, forderte Opitz. Außerdem verlangte das mitten im Tumult des Dreißigj ährigen Krieges erschienene Büchlein, sauber zu reimen und Fremdwörter zu meiden. Zwar hatte der Reformer mit dem bevorzugten Alexandriner-Vers auch selbst einige Mühe; aber er tröstete sich:
    Reformdichter Martin Opitz
    (Porträt von Johann Jakob Haid, 18. Jh.)
    Vieleichte werden noch die bahn so ich gebrochen
Geschicktere dann ich nach mir zue bessern suchen.
    Tatsächlich: Sein in nur fünf Tagen entstandenes Brevier, eher kundig zusammengestellt als originell, wurde im Nu zum Manifest. Von Straßburg bis Königsberg bürgerten Opitz-Jünger den Alexandriner ein. Viele von ihnen waren Schlesier: In Danzig, aber auch in den Universitätsstädten Helmstedt und Tübingen verbreiteten Apostel die neue Lehre; zur Hochburg wurde Rostock. Natürlich entstanden lyrische Kapitalwerke selten über Nacht – Dichterei war ja großenteils ein Zulieferdienst für Hochzeits-Carmina oder Leichenverse. Am raschesten zeigte sich der Wandel auf geistlichem Gebiet: So gelangen schon dem Opitz-Zeitgenossen Johann Heermann einige Kirchenlieder, die bis heute gesungen werden (»O Gott, du frommer Gott«, »Wo soll ich fliehen hin«).
    Welchen Reichtum die über 3000 kurzen »Sinngedichte« des Schlesiers Friedrich von Logau (1604 bis 1655) bargen, merkten dagegen wenige; der Autor, ein hoher Beamter, trat unter Pseudonym auf. Erst Gotthold Ephraim Lessing, selbst ein begnadeter Spruchdichter, entdeckte die Weisheiten Logaus und gab sie neu heraus.
    Anders war es mit Andreas Gryphius (1616 bis 1664): Gravitätische Trauerspiele (»Cardenio und Celinde«) und satirische Komödien (»Herr Peter Squentz«) machten den Juristen aus Glogau bekannt. Aber er dichtete auch Sonette über die Vergänglichkeit:
    D V sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.

Weitere Kostenlose Bücher