Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
Weinkeller mit Freunden über selbstgekeltertem Cabernet und Bierschinkensemmeln sitzt, »seit mehr als 300 Jahren«. Vom Bussenberg bei Biberach seien die Vorfahren gekommen. Und zum Bussenberg haben sie nun eine Kopie der Statue ihrer Schutzheiligen zurückgebracht, der Maria von Hajosch. Weil sie spüren, dass die Zeit der Schwaben hier zu Ende geht, und weil der Kreis sich schließen soll.
Krieg und Vertreibung haben Gauss und die anderen noch überlebt – manche sind zehnmal vertrieben worden und immer wieder heimlich zurückgekommen. Hajosch mit seinem denkmalgeschützten Ensemble aus 1100 Weinkellern war ein schwäbisches Vorzeigedorf.
Inzwischen erkunden Sprachforscher und Fachleute für altgermanische Bräuche die Restbestände dessen, was erhalten blieb. »Unsere schwäbische Kultur geht in’n Schwund«, sagen die Hajoscher. Und das, wo doch die bleierne Zeit für Ungarndeutsche seit 20 Jahren vorbei ist. Wo doch das sowjetische Ehrenmal in Hajosch, eine geköpfte griechische
Siegesgöttin, vom roten Stern befreit und zum Mahnmal für vertriebene Schwaben umgewidmet worden ist, mit neuer Aufschrift: »Ferne der Heimat zu fremden Leut’, hat der Sturm uns wie Staub zerstreut.«
Die Kinder aber und die Enkel, so klagen die Hajoscher, die wollen nichts mehr vom Schwabenbrauch wissen. Sie sagen »Pfui, Oma, wie hässlich«, wenn eine von ihnen noch einmal die Tracht mit den sechs Unterröcken anzieht, und auch der alte Gauss, Samtweste über bestickter weißer Bauernbluse, ahnt an diesem Abend im Gewölbe des Weinkellers, dass hier keiner mehr singen wird, wenn sie nicht mehr singen. Und so spielt er noch eine letzte Runde, Liebeslieder, Hauerlieder, Schwabenlieder. Zum Abschied folgt: »Kehr ich einst zur Heimat wieder« mit dem Refrain: »Mein Schwoweland, mein Heimatland«.
Als alle still sind, legt Gauss die Knopfharmonika beiseite, schaut kurz in die Runde und sagt unvermittelt: »Ihr wisst sicher nicht, was ihr da gerade gesungen habt; das war das Schlesierlied.« Kurzerhand umgedichtet hat man es, zur Rückmarschmusik für Donauschwaben, sagt Gauss: »Damals, als Hitler auch uns in die Urheimat zurückholen wollte.«
Vukovar, Kroatien
Eine Stadt, die mit bis zu 8000 Granaten täglich beschossen wurde, braucht Zeit, um ihre Wunden zu heilen. Und Menschen, die es fertigbringen, inmitten zerborstener Stuckfassaden das Erbe besserer Tage zu sehen.
Dara Mayer bringt das fertig. Sie führt Fremde durch Vukovar, einst ein barockes Juwel, im Herzen Syrmiens am kroatischen Donauufer gelegen. »Heldenstadt« nennt sich Vukovar heute, beinahe 20 Jahre nachdem Jugoslawiens
Volksarmee und serbische Freischärler die Provinzmetropole erst sturmreif geschossen und dann eingenommen haben. Dara Mayer war da schon in Sicherheit, durchs Maisfeld am Stadtrand geflüchtet mit ihren Kindern, und ab ins Land der Vorfahren, nach Deutschland. Sechs Jahre lang hat sie dort Geld verdient, als Köchin, als Altenpflegerin, dann war plötzlich Schluss. Asylantrag abgelehnt, Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft desgleichen – »wegen fehlenden Nachweises über die Pflege deutscher Sprache und Kultur« in Titos Jugoslawien, sagt Mayer bitter: »Aber jeden Polen mit deutschem Schäferhund haben sie eingebürgert. «
Zurück in ihrer zerstörten Heimatstadt leitet sie nun, wie zum Trotz, den »Verein der Deutschen und Österreicher« in Vukovar, wo sich noch 107 Menschen zur deutschen Minderheit bekennen. »Jetzt sind wir letzte Mohikaner«, sagt Dara Mayer, die ihre Rente von 200 Euro monatlich aufbessert, indem sie Deutschen auf Durchreise die Stadt erklärt.
Bis zum Zweiten Weltkrieg war ein Drittel der Einwohner Vukovars deutscher Abstammung. Unter ihnen: Jakob Graf zu Eltz, Nachfahre des Mainzer Kurfürsten Philipp Karl zu Eltz, der Gut Vukovar 1736 erworben und wenig später mit einem Schloss bedacht hatte. Über die Jahrhunderte kamen, beglichen aus den Schatullen derer zu Eltz, weitere Schmuckstücke dazu: Votivkapelle, Sommerpavillon und Weingärten, auf denen importierter Rheinriesling gedieh.
Was ist geblieben? Das schwer getroffene Schloss wird restauriert, die Votivkapelle beim Friedhof bröckelt unter dem von Granatbeschuss zerstörten Dachstuhl, und unweit der Weingärten steht nun ein Mahnmal für die Toten der Massenerschießung auf der Schweinefarm bei Ovcara 1991. Dara Mayer zeigt die Orte, nennt die Opferzahlen und schweigt über das, was der Krieg mit ihr selbst gemacht hat.
Zwischen den Ruinen von
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