Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
Armenhaus und Kornspeicher, wo sie in einem zur Hälfte leerstehenden Haus wohnt, hütet sie ein Bild ihres Enkels Roman, der blond, blauäugig und noch keine drei Jahre alt ist. Manchmal sagt er auf Deutsch zu ihr: »Oma, pass gut auf dich auf.« Dann geht es ihr besser. Der Kleine »ist mein Medikament«, sagt Dara und lacht. Rasch bricht sie auf, sie hat noch zu tun an diesem Abend. Es geht hinunter ans Ufer der Donau. Genau in der Strommitte verläuft seit den jugoslawischen Erbfolgekriegen die Grenze: Drüben, am anderen Ufer, ist jetzt Serbien, Ausland. Hüben ist Kroatien. Dara steuert auf einen Zweckbau zu und steigt, vorbei an einer Marmortafel, auf der ihr Neffe Emil als toter »Vaterlandsverteidiger« geehrt wird, hinauf in einen karg möblierten Saal. Zwei Dutzend Senioren erwarten sie: Das Ensemble der »Drei Rosen von Vukovar« ist angetreten.
In der ohnehin artenreichen musikalischen Landschaft des Balkans zählen die »Drei Rosen von Vukovar« zweifelsfrei zu den exotischsten Gewächsen: Sie ziehen mit deutschem Liedgut durch den Osten Kroatiens. »Curri« – Mädchen –, »Ruhe jetzt, es geht los«, ruft der Chorleiter. Die überwiegend betagten Sängerinnen, ergänzt um einige rüstige Herren, ruckeln sich noch einmal zurecht, und dann heben sie an: Kufsteinlied, Schwabenlied, und schon kommt, »brännend häisser Wiestensand«, Freddy Quinns Heimwehhymne.
»Harte Arbeit, karger Lohn«: Davon können sie hier, nach Jahrzehnten im alten Jugoslawien, nun wirklich ein Lied singen, der alte Friseur Feger, Herr Pfeifer aus dem Gummiwerk in Borovo und Dara Mayer – die Einzigen, die noch ausreichend Deutsch sprechen, um den Text zu verstehen. Alle anderen lesen von einem Bildschirm über dem Keyboard ab, wo ihnen die Strophe happenweise serviert wird.
Es ist ein anrührendes, trauriges Bild, wie sie da beim Karaoke zusammenstehen: die letzten Deutschen in Kroatiens Heldenstadt. Ihre Gemeinschaft wird sich auflösen. Wie Salz in der Suppe.
Werschetz, Serbien
Sie stellten 550 000 Untertanen der jugoslawischen Monarchie, die Deutschen an den Ufern von Donau und Sava. Sie waren Handwerker, Händler und Ackerbauern, inmitten von Serben und Ungarn, Kroaten, Juden, Zigeunern, Rumänen. Fast ein Vierteljahrtausend lang ging das so. Seit jener Zeit, als erste Siedler die Steppen der nordserbischen Vojvodina in Kornkammern verwandeln halfen. Erst nach 1934, als im Schwäbisch-Deutschen Kulturbund zunehmend die »Erneuerer« zu Wort kamen und nationalsozialistische Weltanschauung wie verdorbenes Saatgut unter die Landsleute brachten, nahm die Tragödie ihren Lauf.
Durch Hitlers Traum vom »Tausendjährigen Reich« gerieten die Donauschwaben zwischen die Fronten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs, der etwa einer Million Jugoslawen das Leben gekostet hat, bezahlten die ansässigen Schwaben, gleich welcher Gesinnung, den Preis.
Tito-Partisanen, flankiert von aufgewiegelten Zivilisten, machten Sippenhaft geltend: Ihrem Rachefeldzug fielen bis 1948 mehr als 60 000 Deutsche zum Opfer. Es kam zu Massenerschießungen, Vergewaltigungen, Vertreibung oder zur Deportation in die Sowjetunion. Auf Grundlage der Beschlüsse des »Antifaschistischen Rats der Nationalen Befreiung Jugoslawiens« von 1944 folgte flächendeckende Enteignung.
Die Beschlüsse sind bis heute nicht widerrufen. Von denen, die den Krieg überlebten, ohne sich vom Fleck zu rühren,
bekennen sich heute keine 10 000 mehr zur deutschen Minderheit auf ehemals jugoslawischem Boden: letzte Nachkommen derer, die »vom Nationalsozialismus instrumentalisiert worden waren oder sich hatten instrumentalisieren lassen«, wie der Historiker Holm Sundhaussen schreibt.
Wer weiß heute noch, dass die serbische Batschka rund um Apatin Kernland des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus war? Und dass, andererseits, die für ihre Gräueltaten berüchtigte 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division »Prinz Eugen« ein paar hundert Kilometer weiter östlich, im Banat, aufgestellt worden war?
Eine Reise zu den letzten Deutschstämmigen Serbiens führt über blutgetränkten Boden. Zu alten Männern, die am Donauufer unter der Festung Peterwardein, dem einst mächtigsten Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen die Osmanen, in einem Vereinsraum unter einer Bayern-Fahne ihr Schicksal in gebrochenem Deutsch beklagen: »Wir sind Verlorene. Der deutsche Staat nicht willen unsere Jugend unterstitzen.« Und die Reise führt, immer der rumänischen Grenze zu, auch
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