Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
neue Batterien für ihr Hörgerät, und die Jugendlichen von der Volkstanzgruppe »Enzian« flirten auf Rumänisch. Mit Walkman im Ohr, Handy in der Linken und Kippe im Mund warten sie vor der Kirche, bis der Pfarrer mit der Messe fertig ist, formieren sich dann in Steirerjoppen und Dirndln zur Polka und lassen schließlich einen einstudierten älplerischen Juchzer hören: »Nix ois wia Tanz’n«.
Natürlich ist es nicht überall so trist. Andernorts gibt es sie noch: deutschstämmige Bürgermeister, Schriftsteller, Pastoren; Lehrer auch, die in altehrwürdigen Lyzeen zu Temeschwar oder Hermannstadt das humanistische Erbe hochhalten. Eine Gemeinschaft aber bilden die 50 000 Übriggebliebenen deutscher Muttersprache nicht mehr. Rumäniens Staatssekretär im Außenministerium hat gleichwohl Ende 2010 verkündet, er sei glücklich darüber, dass die deutsche Minderheit unverändert »den Schwarzwald mit dem Schwarzen Meer« verbinde.
Constanta, Rumänien
Ob er an Martha Panchici, geborene Wolf, gedacht hat? Sie lebt, mehr als 2000 Kilometer von der Donauquelle entfernt, am Rande der Schwarzmeer-Metropole Constanta. Und ist die letzte im Land verbliebene Dobrudschadeutsche, die noch in der Sprache ihrer Kindheit erzählt.
Sie waren ja nie mehr als 17 000, Nachfahren jener Schwaben, die mit ihren »Ulmer Schachteln« bis an die Küsten der Ukraine und Südrusslands vorgestoßen waren, ehe sie
schließlich aus dem Zarenreich zurück nach Rumänien flohen. Die Ersten erreichten die damals noch osmanische Dobrudscha 1841. Ein Jahrhundert später verordnete Adolf Hitler, die Kolonisten von der Schwarzmeerküste, ein »nicht haltbarer Splitter des deutschen Volkstums« in Südosteuropa, seien heimzuholen. Die organisierte Umsiedlung ins Reich nahm ihren Lauf.
»Im Pferdewagen«, sagt Martha Panchici, die damals neun Jahre alt war, ging es zum Donauhafen Cernavoda und weiter mit einem Ausflugsdampfer nach Serbien, von dort dann mit der Eisenbahn nach Lohr am Main – nur der Beginn jahrelanger Irrwege und Alpträume. Das Kind Martha lernt unter Fliegerbomben und in Flüchtlingstrecks die Heimat seiner Vorfahren kennen. Bei Kriegsende sind Martha und ihre Familie unter 2000 Unglücklichen, die während des Vorrückens der Roten Armee auf die weite Reise zurück in die Dobrudscha geschickt werden. Sie landen in Constanta, der Stadt am Schwarzen Meer: Sehnsuchtsziel den einen, Verbannungsort den anderen. Der römische Dichter Ovid verfluchte in Constanta sein Schicksal. Der rumänische Poet Mihai Eminescu widmete der Stadt Verse von Dauer: »Ich hab nur noch ein Streben, in ferner Abendstille, lasst mich in Frieden sterben, an Ufers Meeresfülle.«
Marthas Schicksal in Constanta ist prosaisch. Kaum 14 Jahre alt, meldet sie sich anstelle ihrer Mutter, die von den kleineren Geschwistern gebraucht wird, zur Zwangsarbeit. Und landet hinter vergitterten Fenstern im Kellergeschoss eines stattlichen Gebäudes an der Schwarzmeerküste, in Eforie Süd. Es dauert, bis sie versteht, wer über ihr residiert: Rumäniens König Michael I., von den Kommunisten kaltgestellt, aber offiziell noch in Amt und Würden, nutzt das Anwesen als Sommersitz. »Wenn er zum Strand ging, machten wir die Zimmer rein«, sagt Martha. Diskretion sei
Pflicht gewesen: »Er kam natürlich nicht zu uns, um uns die Hand zu geben.« Die Erinnerungen an jene zwei Jahre im Kellergeschoss, als sie »verhungert« wäre, hätten ihr nicht Wachsoldaten Brot durchs Kellerfenster geworfen, trägt die stolze alte Dame bis heute bei sich. Sie, die nach ihrer Hochzeit mit einem rumänischen Eisengießer unter dem Namen Martha Panchici durch die kommunistischen Schreckensjahre ging, hat von der Bundesregierung bis heute »keinen Heller« Entschädigung gesehen für Haft und Zwangsarbeit – anders als ihre Landsleute, die nach Westen ausgewandert sind: »Die Deutschen schmeißen uns weg«, sagt sie, »uns aus der Dobrudscha, die wir geblieben sind.«
Beim Damenkränzchen mit Mehlspeisen, mittwochs gegen zehn Uhr früh im Haus des Deutschen Forums Constanta, ist die Plaudersprache inzwischen Rumänisch. Weil keiner mehr übrig ist aus Marthas Kindheitswelt, aus jener Dobrudscha, über die der spätere Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke einst schrieb: »Stundenlang reitest du über diese einförmige Wüste, bevor du ein elendes Dorf ohne Bäume oder Gärten in irgend einem wasserlosen Tal entdeckst.«
Was Moltke »trostlose Einöde« nannte, war für Martha Heimat –
Weitere Kostenlose Bücher