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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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nach Werschetz (Vršac), ins frühere geistige und politische Zentrum der Deutschen im serbischen Banat. Werschetz liegt am südöstlichen Rand der schier endlosen Pannonischen Tiefebene, eingebettet in erste Karpaten-Ausläufer wie eine Perle in ihre Fassung.
    Die Erinnerung an das Grauen von gestern hat in dieser Stadt weder Ort noch Namen. Es gibt Partisanen-Denkmäler. Aber es gibt keine Schilder, Gedenktafeln, Hinweise darauf, dass Werschetz noch Anfang des letzten Jahrhunderts mehrheitlich eine Stadt der Deutschen war. Die Stelle, wo viele von ihnen verscharrt sind, findet nur, wer kundige Begleiter hat.
    Konstantin Spajić, Spross der ältesten serbischen Familie von Werschetz /Vršac, kennt den Weg. Es geht zuerst die
Straße runter Richtung rumänische Grenze, dann hinter der Schokoladenfabrik links und zu Fuß zum Schindanger. Dort, wo die Werschetzer jahrzehntelang ihre Tierkadaver abluden und wo heute unter Krähenschwärmen im Riedgras sich ein Rechteck abzeichnet, liegen sie: die Knochen derer, die hier Opfer des Volkszorns wurden.
    Das Massaker an Dutzenden Donauschwaben aus der Dreilaufergasse, das der Werschetzer Schriftsteller Dragi Bugarcic im Roman »Die Nebengasse« verewigte, lastet bis heute auf der Stadt. Weil da Verbrechen mit Verbrechen vergolten und bis heute nicht gesühnt wurden. Der Streit darüber, ob ein Kreuz für alle unschuldigen Opfer der Gewalt, also auch die deutschen, auf dem Schindanger stehen soll, währt seit Jahren. Konstantin Spajić kämpft öffentlich für das Kreuz. Seine Familie siedelt hier seit 300 Jahren, er selbst führt die serbisch-deutsch-österreichische Freundschaftsgesellschaft von Werschetz/Vršac, und er will, dass seine Stadt ihr Gedächtnis wiederfindet. Natürlich weiß auch Spajić, wie das Unheil seinen Lauf nahm: wie die Hitlerjugend in Werschetz mit Aufmärschen begann, wie der schwäbischdeutsche Kulturbund völkisches Gift mischte und schließlich die anrückende Wehrmacht 1941 mit fliegenden Fahnen und selbstgebackenem Kuchen begrüßt wurde.
    Nur, wo in dieser Stadt mit ihren wie steinerne Zeigefinger in den Himmel gereckten Türmen über der katholischen Kirche, der größten ganz Serbiens – wo wird hier des Leids der Unschuldigen gedacht?
    Allgegenwärtig sind, zwischen sorgsam restaurierten Fassaden aus der Sezession, die Orte namenlosen Grauens. Die vergitterten Arrestzellen beim alten Gericht: noch in Gebrauch; im Kellergewölbe der Brauerei Zoffmann, wo gefoltert wurde, ist der Liter Bier für umgerechnet einen Euro im Angebot; und neben dem alten Bahnhof aus der
Habsburger Zeit sind die Lagerhallen erhalten, in denen etwa tausend deutsche Kriegsgefangene litten – darunter der schließlich 1948 zu Tode gefolterte Adalbert von Neipperg. Das heute serbische Vršac hat mit der erst habsburgischen, dann jugoslawischen Vielvölkerstadt des letzten Jahrhunderts nur mehr wenig gemein. Dem Naturlyriker Nikolaus Lenau, immerhin, haben sie hinter Partisanen-Büsten im Stadtpark inzwischen ein Denkmal gesetzt.
    Lenaus Gedicht »Blick in den Strom«, ein vorweggenommener Epilog beinahe aufs Schicksal der Völker am Donauufer, beginnt mit den Worten: »Sahst Du ein Glück vorübergehn, das nie sich wiederfindet, ists gut in einen Strom zu sehn, wo alles wogt und schwindet.«
    Bresondorf, Rumänien
    Wie die Zeiten sich ändern. Wer heute vom serbischen Vršac aus zur rumänischen Grenze fährt, nähert sich der Festung Europa: Hinter dem Grenzbalken beginnt das Reich der EU.
    Früher war es so: Wer sich von Rumänien kommend auf Vršac zubewegte, wollte das Schattenreich des größenwahnsinnigen Despoten Ceauşescu verlassen. Und im blockfreien Jugoslawien den Westen riechen. Schlimmstenfalls durch Flucht über die grüne Grenze.
    Noch immer sieht das geteilte Banat auf rumänischer Seite rückständiger aus, mit seinen Schlaglochpisten, mit verwilderten Gesellen unter Pelzmützen und fröhlichem Müßiggang vor verfallenden Häusern – ein Abbild duldsam in Kauf genommener Verwahrlosung.
    Die Dörfer und ihre neuen Bewohner müssen noch zueinander finden. An die 300 000 Banater Schwaben, die den Westen Rumäniens verließen, haben Lücken gerissen. Wer durch Ortschaften wie Bresondorf (Brezoni) fährt und
gerade recht zur Kirchweih kommt, wird Augenzeuge eines Totentanzes in jahrhundertealten Kulissen.
    Da ist zur Feier des Tages der Pfarrer aus der nächsten Kleinstadt gekommen, da bettelt die älteste im Dorf verbliebene Schwäbin in der Menge um

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