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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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der Donauschwaben rückblickend so: »Des hat’r net wölla, aber er hat miassa« – dem Joschka, heißt das, blieb
keine Wahl. Von sechs Geschwistern war Joschka Fischers Vater der Einzige, der 1946, bei Beginn der Vertreibungen, Ungarn verließ. Zurück ins Württembergische ging er mit seiner Frau, ins Stammland der Vorfahren. In jenen Landstrich, den der Urahn Jakob Fischer aus Friedingen in Oberschwaben 1731, sieben Generationen zuvor, verlassen hatte – um sich einzuschiffen für die Reise hinunter an den Mittellauf der Donau.
    Fruchtbar waren sie und mehrten sich, samt ihrem Vermögen: die Fischers von Wudigess. Zwischen schwäbischen Greißlern und Hutmodistinnen, Küfern, Wagnern und Brunnengräbern machten sie ihr Geld in der Fleischhacker-Zunft. Schwarzweißbilder aus der Vorkriegszeit belegen vornehme sonntägliche Landpartien: Großvater Georg Fischer, piekfein im Anzug mit Krawatte und Strohhut, Joschka senior daneben mit Schwerenöterlächeln und Kippe im Mund. Man sprach schwäbisch und fühlte ungarisch. Den 1867 beginnenden und ab 1918 lauter werdenden Forderungen nach Magyarisierung leisteten die Fischers Folge: aus Georg wurde György, aus Josef József. Im eher bürgerlichen Wudigess verfingen die volksdeutschen Lockrufe, die ab den Dreißigern aus dem nationalsozialistischen Berlin herüberdrangen, weniger als anderswo.
    Als gegen Kriegsende, Heiligabend 1944, erste SowjetPanzer durch Wudigess rollten, schlug den Fischers trotzdem die Stunde. Sie teilten das Schicksal von fast 500 000 ungarischen Donauschwaben: Wer Mitglied in der Waffen-SS oder auch nur im Volksbund gewesen war, wer seinen deutschen Namen behalten oder sich sonstwie antiungarischer Gesinnung verdächtig gemacht hatte, der kam auf die »Liste« und wurde vertrieben; wer bleiben durfte, verlor Besitz und Bürgerrechte. Kata Fischer blieb. Sie sprach fortan kein Schwäbisch mehr auf offener Straße und bekam trotzdem zu spüren, dass ihr, als Tochter von »Schwaben und Kulaken«, wie es nun hieß, der Weg an die Universität versperrt bleiben würde. Sie schlug sich durch im sozialistischen Ungarn und erzählt heute klaglos davon, in der Sprache ihrer Kindheit. Die meisten am Ort verbliebenen Schwaben hingegen zählen zur »stummen Generation« – sie verstehen Schwäbisch nicht mehr. Was Wudigess war, wird es nicht wieder.

    Die Metzgerei von Joschka Fischers Großvater in Budakeszi
    Auf dem Friedhof liegen sie nun, die Donauschwaben, die hier jahrhundertelang Brückenbauer waren zwischen den Völkern. Ihre Namen über den Gräbern sind in Stein oder Marmor gehauen, auf Deutsch oder Ungarisch. Joschka Fischer, sagt Kata, ziehe es ein ums andere Mal an diesen Ort. Vielleicht, weil sich beim Blick aufs Fischersche Familiengrab Weltgeschichte in kleinere Geschichten übersetzen lässt – Geschichten über Großvater Georg, über Toni-Bacsi, den Onkel, und über das traurige Ende des Vetters Feri. Im Januar 1945 tot unterhalb der Budapester Burg geborgen, während des mörderischen Endkampfs um Ungarns Hauptstadt, zahlte Vetter Feri den Preis für seine Wahl: Er diente, sagt Kata, als Kurier der faschistischen Pfeilkreuzler oder der Waffen-SS.
    Hajosch, Ungarn
    Wer war dafür und wer dagegen? Die NS-Zeit spaltete donauschwäbische Familien und Dorfgemeinschaften. »Trittst Du hier als Deutscher ein, soll Dein Gruß ›Heil Hitler‹ sein«: Wo dieser Spruch über der Haustür gestanden habe, wohnten die Nazi-Treuen, sagt Stefan Gauss. Er selbst, geboren 1933, hat als HJ-Pimpf aufsagen gelernt: »Freiheit das Ziel, Sieg das Panier! Führer befiehl! Wir folgen Dir!« Gauss repetiert die alten Sprüche mechanisch. Wie einer, der eine rostige Waffe
noch einmal hervorholt, nachdem sie jahrzehntelang in der Ecke gestanden hatte. Dann nimmt er sich die Knopfharmonika zur Brust, strafft sich und spielt steinernen Gesichts ein Lied zu Ehren der Gottesmutter: »Maria von Hajosch, hell glänzende Sonn, Du bist ja die Schönste im himmlischen Thron.«
    Hajosch an der schwäbischen Weinstraße, wo Gauss’ Haus steht, liegt 156 Kilometer donauabwärts von Budapest. Der Weg dorthin führt durch gottverlassene Puszta-Flecken, durch eine Gegend, über die der Nationaldichter Sándor Petöfi schrieb, hier flögen die Jahre davon »wie ein Vogelschwarm nach einem Schuss«. Entlang der Überlandstraße frieren Nutten im Schnürlregen, und in Judiths Gasthaus steht Kuttelgulasch auf dem Herd.
    Schwaben in dieser Gegend? Ja, sagt Gauss, der im

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