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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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die uns im zweiten Stock in einem Flur wieder ausspuckte, wo in Großbuchstaben eines der Zehn Gebote an die Wand gepinselt war: DU SOLLST NICHT TÖTEN. Ich fragte mich, welcher Schlaumeier es zum Motto für das Dezernat bestimmt hatte: Wenn alle sich daran hielten, hätten sie hier bald nichts mehr zu tun.
    Warum war ich bloß einverstanden?, dachte ich bei mir, als Pagonis mich einen Flur hinunter in einen engen Raum führte, knapp drei mal vier Meter, nur mit einem Tisch und zwei Stühlen möbliert und einer deckenhoch verspiegelten Wand auf einer Seite. Ein Vernehmungszimmer, das wusste ich aus unzähligen Fernsehkrimis. Ich sah mich nach dem Aufzeichnungsgerät um, konnte aber keines entdecken.
    »Setzen Sie sich«, sagte Pagonis, löste ihren Gürtel mit dem Holster und reichte ihn Hodge. »Kaffee? Milch, Zucker?«
    Ich setzte mich auf den Stuhl, auf den sie gezeigt hatte, und als ich den Blick senkte, sah ich, dass unter meinen Füßen am Boden eine knapp einen Meter lange Kette festgeschraubt war. Es sah so aus, als wären an einem Ende Schellen dran, und mir dämmerte, dass es wohl Fußfesseln waren. Gütiger Himmel , dachte ich. Haben sie Harry angekettet, als sie ihn hergebracht haben? Hodge kam mit zwei Pappbechern Kaffee zurück, setzte sich stumm neben Pagonis und bedachte mich mit einem misstrauischen Blick. Ihr Gesicht war faltig vor Erschöpfung, doch das Adrenalin hielt sie auf Trab − es war sicher der größte Fall ihrer Karriere.
    »Wir untersuchen den Tod von Marcus Greene«, sagte sie und rührte Zucker in ihren Kaffee. »Wir werden nicht oft nach East Hampton gerufen. Um die meisten Sachen dort kümmert sich die örtliche Polizei: Tennisspielerlaubnisse, Einbrüche, so was in der Art. Wir haben hier sonst nicht viel zu tun, dies ist also eine rechte Herausforderung. Shapiro hat Ihnen wahrscheinlich erzählt, was passiert ist.«
    »Wie ich schon sagte, kann ich darüber nicht reden.«
    »Klar, klar. Hör mal, Mike, warum holst du nicht die Fotos? Dr. Cowper ist doch Arzt, richtig? Er will sicher wissen, was sein Patient getan hat.«
    Nein, will ich nicht , dachte ich, doch mir blieb nichts anderes zu tun, als zu warten, während Hodge sich noch einmal hochstemmte und auf der Suche nach den Beweismitteln den Raum verließ. Pagonis betrachtete mich mit oberflächlicher Freundlichkeit, als würden wir in dieser Sache alle im selben Boot sitzen. Zwei Minuten später kam ihr Kollege wieder herein und warf ein halbes Dutzend Fotos auf den Tisch.
    »Hübsche Sauerei, was?«, meinte Pagonis und sah mich an.
    Zögernd nahm ich ein Foto und betrachtete es. Das Wohnzimmer der Shapiros erkannte ich sofort. Die Aufnahme war ungefähr von da gemacht worden, wo ich während meiner Unterredung mit Nora gesessen hatte. War das erst zwei Wochen her? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Das Sofa, auf dem sie gesessen hatte, war im Hintergrund zu sehen, dahinter der Wintergarten. Vorn war der grau-schwarze Wollteppich, auf dem ein Mann lag, den linken Arm zur Seite ausgestreckt, die rechte Hand auf die Brust gedrückt wie in dem vergeblichen Bemühen, die Wunde, die ihn getötet hatte, zuzuhalten. Auf der linken Seite des Brustkorbs war eine kleine Eintrittswunde zu sehen, wenige Zentimeter über dem Herzen. Der Mann lag in einer großen dunklen Blutlache, die in den Teppich gesickert war. Es sah aus, als hätte das Geschoss auf dem Weg durch seinen Körper eine Arterie zerrissen. Wenn er nicht augenblicklich tot gewesen war, dann innerhalb weniger Minuten.
    »Das ist er«, sagte Pagonis und reichte mir ein anderes Foto.
    Ich hatte Greenes Gesicht seit seiner Ermordung auf vielen Zeitungsfotos gesehen, und ich erkannte es wieder. Es war von oben aufgenommen, die Haut war schneeweiß, die Augen starrten ins Leere. Die Oberlippe stand hoch, wie erstarrt, als er sich sein letztes Wort abrang − er wirkte ein wenig spöttisch, aber auch verächtlich. Sein Kopf ruhte in der Blutlache, in der ein paar Strähnen seines leicht angegrauten Haares klebten. Ich war es vom Krankenhaus her gewohnt, Gesichter von Toten zu sehen, doch dieses hier war anders, persönlicher, als wäre er ein Verwandter von mir, dessen letzte Qualen konserviert worden waren. Speichel sammelte sich in meinem Mund, und Übelkeit stieg auf.
    »Was halten Sie vom Werk Ihres Patienten?«, fragte sie. Ihr Patient. Ihre Schuld. Pagonis ging alles andere als behutsam vor. »Shapiro hatte eine Neun-Millimeter. Kein schlechter Schuss. Er muss ein paar Meter

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