Die Diagnose: Thriller (German Edition)
direkt an meiner Seite stehen oder sich, eingedenk ihrer Einmischung, sogar vor mich stellen. Ich kam zu dem Schluss, dass ich unmöglich passiv dahocken und zulassen konnte, dass sie sich jeglicher Verantwortung entzog.
»Ich hoffe, die Sache schadet dem Krankenhaus nicht zu sehr. Sie haben erwähnt, dass Mrs Shapiro in Erwägung gezogen hat, dem Krankenhaus einen beträchtlichen Betrag zu spenden. Um den neuen Krebsflügel zu bauen, haben Sie gesagt.«
Als ich sie so daran erinnerte, dass sie mich gedrängt hatte, Harrys Wunsch auf Entlassung nachzukommen, musste sie ein paarmal blinzeln, wie ein Computer, der innehält, um Daten zu verarbeiten. Sie betrachtete mich teilnahmslos, wie aus großer Distanz.
»Daran erinnere ich mich nicht«, erwiderte sie.
Ihre Unverschämtheit schockierte mich − sie wirkte nicht im Geringsten beschämt. Es war, als hätte sie die Vergangenheit im Geiste so schnell und so gründlich neu geschrieben, dass keine Erinnerungen mehr existierten. Im Kontext meines Berufes hätte ich es als adaptiv bezeichnet, die Fähigkeit, das eigene Verhalten blitzschnell an Veränderungen in der Umgebung anzupassen.
»Aber wir haben uns doch …«
»Woran ich mich erinnere«, unterbrach sie mich, »ist, dass Nora mir als Freundin von der schwierigen Lage ihres Mannes erzählt hat, und wir haben darüber diskutiert. Zu keinem Zeitpunkt habe ich Sie angewiesen oder Sie unter Druck gesetzt, Mr Shapiro zu entlassen. Ja, ich habe Sie noch besonders darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung eine rein medizinische sei, die allein Ihnen obliege.«
Wir blickten einander ein paar Sekunden lang an, und ich sah in ihren grauen Augen nichts als kalte Entschlossenheit. Deswegen hast du mich so schnell hier raufbestellt. Nicht um mich zu beruhigen oder mir zu sagen, dass du hinter mir stehst, sondern um mir diese falsche Version der Vergangenheit aufzuzwingen und dich aus der Verantwortung zu stehlen.
»So war das meines Wissens aber ganz und gar nicht«, versetzte ich.
Sie starrte mich an, und die Raumtemperatur schien um mehrere Grad zu sinken. Sie sprach langsam, als hätte sie eingeübt, was sie zu sagen hatte. »Ich bin die Ereignisse seither mehrfach durchgegangen, und ich bin davon überzeugt, dass ich mich korrekt verhalten habe. Sobald Sie die Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken, werden Sie sicher erkennen, dass es stimmt. Sie möchten doch gewiss keine wilden Anschuldigungen zu Protokoll geben, Dr. Cowper. Das wäre Ihrer Karriere nicht förderlich.«
Ihre Drohung war so offenkundig wie ihre Lügen, und ich hatte Mühe, mich zu beherrschen. »Ich würde niemals in irgendeinem Punkt die Unwahrheit über Mr Shapiros Fall sagen. Ich halte mich an die Wahrheit.«
Duncan öffnete den Mund, als wollte sie noch etwas erwidern, doch dann überlegte sie es sich wohl anders, denn sie lehnte sich zurück und atmete aus. Wie es schien, wollte sie die Konfrontation nicht noch weiter treiben. Sie hatte deutlich gemacht, wie hart sie im Notfall werden könnte. Jetzt stand sie auf, ging zu ihrem Schreibtisch und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte.
»Regen Sie sich nicht auf, Dr. Cowper«, sagte sie, als sei mein unbeherrschtes Naturell das Problem und nicht ihre Lügen. »Die Versicherung wird sich bei Ihnen melden, und mit ein bisschen Glück geht die Sache gar nicht vor Gericht. Wir haben eine starke Verteidigung.«
»Ja, Mrs Duncan«, sagte ich und stand auf. Erwartete sie jetzt, dass ich ihr die Hand schüttelte? Doch sie machte keine Bewegung in meine Richtung. Nach zwei Sekunden zog ich mich verwirrt zur Tür zurück.
»Vielen Dank, dass Sie hier waren«, sagte sie, richtete den Blick auf eine Akte auf ihrem Schreibtisch statt auf mich und griff nach dem Telefon. Auf dem Weg nach draußen kam ich an ihren beiden Assistentinnen vorbei, die immer noch, ohne aufzublicken, am selben Fleck saßen.
Mit einem Plopp zog Felix den Korken aus einer Rotweinflasche, schenkte zwei Gläser ein und schwenkte den Wein im Glas, bevor er einen Schluck trank.
»Ein 2005er Pomerol. Kein großartiger Jahrgang, aber zur Pizza allemal gut genug. Ein Purist würde auf Bier bestehen, aber so einer bin ich nicht. Ich habe zwei Flaschen gekauft, weil ich finde, wir haben es verdient. Prost«, meinte er.
Wir waren in meiner Küche, und ich verteilte Teller, Messer und Gabeln auf dem Tisch für das Essen, das Felix mitgebracht hatte. Er hatte tagsüber angerufen, ob wir uns nicht treffen wollten, und
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