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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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wahrscheinlicher, dass die Menschen jemanden kennen, bei dem die Krankheit festgestellt wurde. Dadurch steigt das Gefühl, in Gefahr zu sein – und die Untersuchung wird noch wichtiger. Außerdem führen mehr Überdiagnosen dazu, dass mehr Menschen glauben, ihr Leben oder das Leben anderer, ihnen bekannter Menschen sei dem Screening zu verdanken. Das ist ein noch wichtigerer Anreiz, sich untersuchen zu lassen. Denken Sie daran, dass es Menschen, die Opfer einer Überdiagnose wurden, meist außergewöhnlich gut geht; es ist daher kein Wunder, dass sie glauben, ihr Leben sei gerettet worden, weil die Krankheit früh entdeckt wurde. Sobald der Kreislauf einmal begonnen hat, bleiben diese Einflüsse erhalten, selbst wenn keine anderen Faktoren das Screening fördern (zum Beispiel finanzielle Interessen oder wirkliche Überzeugung). Dann wird es schwer, etablierte Vorsorgeuntersuchungen abzuschaffen, auch wenn die Mediziner das für richtig halten. Einerlei, welche Erfahrungen die Menschen machen, sie neigen dazu, sich noch öfter untersuchen zu lassen. 11
Orkanprävention – eine Analogie
    Der Gedanke, dass die Früherkennung womöglich mehr schadet als nützt, widerspricht unserer Intuition. Manchmal müssen wir uns woanders umschauen, um das große Ganze zu erkennen. Vor ein paar Jahren, nach den schrecklichen Orkanen des Jahres 2005, las ich, jemand habe die Idee, Wirbelstürmen vorzubeugen. Sofort dachte ich: Das ist eine ausgesprochen passende Analogie zur bevorzugten Methode der Ärzteschaft: der Verhütung von Krankheiten. Hier ist ein Auszug aus dem Artikel in der Washington Post:
    Mosche Alamaro macht einen bescheidenen Vorschlag. Man nehme eine Flotte von Ozeanfrachtkähnen und montiere auf jeden 10 oder 20 Strahltriebwerke mit dem Heck nach oben. Die Kähne sind mit Flugzeugbenzin gefüllt und werden auf die Bahn eines sich nahenden Orkans geschleppt. Dort zündet man die Triebwerke.
    Wenn alles läuft wie geplant, lösen die Triebwerke kleine Tropenstürme aus, »Wie ein Gegenfeuer«, sagt Alamaro. Sie senken die Temperatur der Meeresoberfläche ein wenig und rauben dem echten Orkan Energie, wenn er sich der Küste nähert. 12
    Was die Ingenieure vorgeschlagen haben, glich einer Methode, die Feuerwehrleute im amerikanischen Westen anwenden, um Waldbrände zu bekämpfen: Gegenfeuer. Ein Gegenfeuer ist ein Feuer, das absichtlich auf dem Weg eines Wildfeuers angezündet wird. Es verzehrt das, was ein Waldbrand braucht, um weiter zu brennen: Sauerstoff und Brennstoff. Ein »Gegenorkan« verzehrt, was ein Wirbelsturm braucht, um sich weiter drehen zu können: Hitze. Selbst eine kleine Störung könnte den Weg eines Orkans ändern.
    Das ist eine faszinierende Idee. Die Ingenieure räumten allerdings ein, dass sie nicht wussten, ob sie wirklich praktikabel ist. Wirbelstürme sind groß, wenn sie den Golf von Mexiko erreichen – sie haben oft einen Durchmesser von mehreren hundert Kilometern und eine gigantische Energie. Man bräuchte eine Menge Gegenorkane, um sie zu beeinflussen. Das war den Ingenieuren klar. Deshalb dachten sie über eine andere Lösung nach. Wirbelstürme sind klein, wenn sie sich bilden, meist vor der Küste Westafrikas. Wenn man Kähne mit Flugzeugtreibstoff rechtzeitig über den Atlantik schaffen könnte, bräuchte man weniger Gegenorkane, um die Wirbelstürme dort zu entschärfen. Mit anderen Worten: Man könnte sie leichter bekämpfen, wenn man sie früher erwischen würde. Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist die Begründung für die Früherkennung.
    Immerhin war den Ingenieuren bewusst, welche Nebenwirkungen diese Methode auslösen würde. Ja, man könnte vielleicht einen verheerenden Wirbelsturm (wie den Hurrikan Katrina, der New Orleans vernichtete, oder den Großen Hurrikan, der 1938 weite Teile New Englands in Trümmer legte) verhindern, könnte zugleich aber mit den Gegenorkanen weitere Wirbelstürme und unberechenbare Folgen verursachen.
    »Das Problem ist, dass wir zwischen Energie und Information abwägen müssen«, sagte [Kerry] Emanuel. »Je früher wir eingreifen, desto kleiner ist die benötigte Energie, aber umso schwerer ist die Wirkung vorhersehbar.«
    Unvorhersehbar … Es könnte sein, dass wir den Weg eines Orkans ändern, der sich über dem Nordatlantik aufgelöst hätte, und ihn nun direkt in Richtung Miami umlenken. Das ist das Dilemma der Früherkennung.

Fazit
Mit weniger Diagnosen nach Gesundheit streben
    Ich halte Überdiagnosen für das größte Problem der

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