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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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die in der gleichen Umwelt leben, können unterschiedlich gesund sein. Der Zufall bestimmt mit, wer an einem aggressiven Tumor erkrankt, und das Gleiche gilt wahrscheinlich für andere Krankheiten. Biologen würden dies vielleicht als unvorhersehbare, spezifische Interaktion zwischen Genetik und Umwelt bezeichnen; aber die meisten von uns nennen es einfach Pech.
    Es ist wichtig zu verstehen, warum Menschen krank werden. Nur dann haben wir realistische Erwartungen, was unsere Fähigkeit anbelangt, künftige Krankheitsrisiken zu beeinflussen. Wir können manches steuern, vieles nicht. Selbst Lungekrebs, die Krankheit, die man angeblich am leichtesten verhüten kann, kommt auch bei Menschen vor, die nie geraucht haben. Wichtig sind auch realistische Erwartungen an die Fähigkeit der Ärzte, die künftige Entwicklung einer Krankheit vorherzusagen. Um es einfach auszudrücken: Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Vor allem der unglückliche Zufall macht es schwierig vorauszusagen, wer in Zukunft von Maßnahmen profitieren wird, die jetzt getroffen werden.
    Um die Früherkennung aus dem richtigen Blickwinkel zu sehen, ist es außerdem wichtig, die Bedeutung der Symptome zu verstehen. Frühe Diagnosen werden bei Menschen mit Symptomen und bei Menschen ohne Symptome gestellt. Aber Symptome sind sehr bedeutsam, weil sie Informationen über den derzeitigen Zustand eines Menschen liefern und somit etwas darüber aussagen, in welchem Umfang er von einer medizinischen Maßnahme profitieren kann. Das Vorhandensein oder das Fehlen von Symptomen ist ein wichtiger Aspekt, wenn wir die Bedeutung einer Anomalie beurteilen wollen, da Symptome zu den Faktoren gehören, die ernste Probleme am zuverlässigsten vorhersagen. 4 Das soll nicht heißen, dass alle Symptome Vorboten einer verhängnisvollen Entwicklung sind. Aber wenn sowohl Anomalien als auch Symptome vorhanden sind, ist eine negative Entwicklung wahrscheinlicher als bei symptomlosen Anomalien. Genau genommen leiden Patienten mit Symptomen bereits an einer negativen Entwicklung, und darum bitten sie einen Arzt um Hilfe. Ganz anders liegt der Fall bei den Menschen, denen es derzeit gut geht, die aber in Zukunft krank werden könnten . Der Arzt bietet seine Hilfe an; aber es ist schwer, jemandem zu helfen, der gesund ist, und es ist leider einfach, Gesunden das Gefühl zu vermitteln, es gehe ihnen schlechter. Deshalb müssen wir diese beiden Gruppen von Individuen auseinanderhalten.
    Der Grund dafür ist einfach: Menschen mit Symptomen können feststellen, ob eine Maßnahme ihnen hilft. Wenn Ihre Kopfschmerzen nicht abklingen, nachdem Sie ein Medikament eingenommen haben, kommen Sie vielleicht zu dem Schluss, dass die Tabletten nicht wirken. Sind die Kopfschmerzen hingegen nach zwanzig Minuten restlos verschwunden, loben Sie wahrscheinlich das Medikament. Solche Urteile sind unmöglich, wenn eine Behandlung die Gefahr künftiger Ereignisse verringert. Wenn Sie ein Mittel gegen einen zu hohen Cholesterinspiegel nehmen oder sich vorsorglich auf Krebs untersuchen lassen, merken Sie nicht, ob Ihr künftiges Herzinfarkt- oder Krebsrisiko gesunken ist. Deshalb müssen wir skeptisch sein, wenn wir pauschale Behauptungen über den Wert der Früherkennung hören. Menschen mit Symptomen können eine Maßnahme selbst bewerten, 5 Menschen ohne Symptome können das nicht. Darum ist eine sorgfältige Prüfung mithilfe von randomisierten Studien meiner Meinung nach so wichtig: um die Wirkung der Früherkennung bei Menschen ohne Symptome zu bestimmen.
Früh ist manchmal gut, aber nicht unbedingt besser
    Das Paradigma der Früherkennung ist einfach: Je früher Anomalien entdeckt werden, desto besser. Die Menschen neigen zu der Annahme, dass die erfolgreichste Strategie folglich darin besteht, Anomalien so früh wie möglich aufzuspüren. Doch wie Sie inzwischen wissen, ist das ein Rezept für Überdiagnosen. Das Problem liegt darin, dass nicht zwischen Abstufungen von »früh« unterschieden wird. Wir brauchen eine differenziertere Betrachtungsweise: Früh ist manchmal gut, aber das bedeutet nicht, dass früh auch besser ist. Mit anderen Worten: Es gibt fast mit Sicherheit eine Schwelle, die wir nicht überschreiten dürfen, wenn wir negative Folgen vermeiden wollen. Zu frühe Diagnosen stempeln zu viele Menschen als krank ab und setzen zu viele Menschen mit geringem Risiko schädlichen Therapien aus.
    Die naheliegende Frage lautet: Wo liegt diese Schwelle? Leider kann niemand diese Frage genau

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