Die Dichterin von Aquitanien
an. Beim Gesang wechselten sie sich gegenseitig ab. Der ältere Ritter, dessen Haar bereits schneeweiß war, schwärmte von seiner Liebe zu einer strengen, unerreichbaren Dame, die ihn dennoch mit Glück erfüllte, da sie ihn zu Heldentaten anspornte. Sein jüngerer Gefährte mit dunklen Augenringen und eingefallenen Wangen riet, sich die Zeit mit hübschen Schankmädchen zu vertreiben, die der Umarmung eines Mannes nicht abgeneigt waren. Marie lauschte begeistert, denn der Text war einfallsreich und nahm unerwartete Wendungen. Schließlich blieb offen, welche Haltung die richtige sein könnte. Mit Erleichterung sah sie auch Emma aufmerksam zuhören. Selbst Isabelle war am Ende bereit, die Sänger am Hof bleiben zu lassen.
Weitere Kandidaten traten auf, während Bedienstete den Damen nachschenkten und Naschereien auftrugen. Die meisten Darbietungen waren miserabel, doch schmerzte es Marie, so viele vom Elend gezeichnete, hoffnungsvolle Gesichter enttäuschen zu müssen. Außer den zwei Rittern blieben schließlich nur ein junger Mönch, der einen langen Vortrag über die Bedeutung höfischer Liebe gehalten hatte, und ein paar Sänger und Erzähler abenteuerlicher Geschichten. Der Saal begann sich bereits zu leeren, als ein kleinwüchsiger, breiter Mann mit spärlichem, schmutzig grauem Haar vortrat.
»Ich kam zu spät, um meinen Namen auf die Liste setzen zu können«, erklärte er erstaunlich selbstsicher. »Doch es hieß, auch Nachzügler dürften hier ihr Können zeigen.«
Emma seufzte auf. Es dämmerte bereits, und die meisten der unangekündigten Eindringlinge hatten sich freiwillig entfernt, um die Weinschenken von Poitiers aufzusuchen.
Die Auswahl war wohl härter gewesen, als sie erwartet hatten.
»Er soll uns sein Können zeigen, wenn er möchte«, meinte Marguerite. Emma verzog das Gesicht, wagte aber nicht, der zukünftigen englischen Königin zu widersprechen.
Der Mann winkte ein Gefolge von drei Musikern heran, die ihn auf Flöte, Fidel und Harfe begleiteten. Er holte Luft, schüttelte sich wie ein nasser Hund, und dann begann er zu singen.
Schon nach den ersten Klängen schloss Marie die Augen. Sein Lied war süß wie Honig, schwer wie roter Wein und von unendlicher Trauer. Er beschrieb eine Dame, deren Schönheit seine Sonne war, die ihn mit einem Lächeln am Leben hielt, um ihn bald schon durch eisige Kälte in Höllenqualen zu stürzen. Die Wehmut seiner Worte hüllte Marie ein und ließ sie ihre Umgebung vergessen, so wie es einst in Wales gewesen war, wenn Owein auftrat. Ganz gleich, welche Unbill das Leben noch für sie bereithalten mochte, es könnte niemals völlig unerträglich werden, solange es derart zauberhaften Gesang in ihrer Welt gab.
Als der Sänger verstummte, schwiegen auch die Damen. Marie beobachtete verstohlen Emmas Miene. Ihre Tante wirkte tatsächlich ein wenig gerührt.
»Er kann bleiben«, rief Isabelle de Vermandois begeistert. »Und er sollte baldmöglichst vor der Königin auftreten, um sie durch seine Kunst zu erfreuen. Wie ist denn sein Name?«
Der Unbekannte beugte die Knie.
»Ich bin Bernard de Ventadorn, dem es eine Ehre ist, dem Stern der Christenheit bald wieder begegnen zu dürfen.«
Nun schnaubte Emma leise.
»Das hätte er gleich sagen und sich seinen Auftritt bei diesem dümmlichen Wettbewerb ersparen können«, flüsterte
sie Marie ins Ohr. »Aliénor kennt ihn doch bereits. Er schwärmte einst derart von ihrer Schönheit, dass Henri ihn davonjagte. Und siehe da, kaum ist sein Lichtstern wieder allein, kommt er zu ihm zurück.«
Irgendwann hatte auch Marie den Namen dieses Troubadours bereits gehört, aber sosehr sie auch ihr Gedächtnis bemühte, konnte sie sich nicht erinnern, wer ihn genannt hatte. Marguerite erhob sich ihrer Rolle entsprechend und forderte den Herold auf, für die auserwählten Künstler eine Unterkunft zu finden. Eine kleine Gruppe von Männern entfernte sich daraufhin zufrieden.
»Hast du den Harfenspieler von Bernard de Ventadorn bemerkt, Marie?«, flüsterte Emma. »Er sieht unglaublich gut aus, wie ein heidnischer Liebesgott. Und mir schien, er starrte aus irgendeinem Grund in deine Richtung. Nur hattest du natürlich die Augen geschlossen, wie immer, wenn etwas Aufregendes geschieht.«
Sie kicherte. Marie richtete ihren Blick verwirrt auf die Männer, die hinausgingen. Ein blonder Haarschopf fiel ihr auf, dann wandte sich der junge Mann plötzlich um. Marie blickte in ein Paar leuchtend blauer Augen. In diesem Moment
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