Die Dichterin von Aquitanien
erschien Bernard de Ventadorn mit seinen drei Begleitern. Sie beugten ehrfürchtig ihre Knie, als Aliénor sie begrüßte, und stimmten anschließend ihr erstes Lied über die Liebe zu einer Dame an, die Bernard »Mos Aziman«, seinen Leitstern nannte. Die Königin lauschte mit ungewohnt entspannter, beinahe verträumter Miene.
»Sie denkt wohl an die Zeit, da noch viele Männer sie so nannten, und das nicht nur, um Kost und Logis zu erhalten«, vernahm Marie wieder Emmas Flüstern. Sie warf ihrer jungen Tante einen tadelnden Blick zu, wollte aber die Darbietung nicht stören, indem sie widersprach.
Jetzt konnte sie nicht übersehen, dass der Harfenspieler immer wieder in ihre Richtung blickte. Mit einem Mal ertappte sie sich bei dem Wunsch, auf Hawisas Rat gehört und sich hübscher herausgeputzt zu haben. Dann fielen ihr Cadells Worte wieder ein. Sie war eine graue Maus, eine Krähe, wenn auch nicht mehr so abgemagert wie in Wales. Daran würden auch prächtige Gewänder nichts ändern können. Der junge Schönling erinnerte sich nur an die Unterhaltung, nichts weiter. Vermutlich war er bereits enttäuscht und fragte sich, wie er jemals eine derart unscheinbare Erscheinung seine zukünftige Dame hatte nennen können.
Als der Gesang verstummte, lud die Königin Bernard de Ventadorn ein, sich an die Tafel zu setzen.
»Ihr werdet zudem ein eigenes Gemach in diesem Palast
bekommen und einen persönlichen Bediensteten«, fügte sie großzügig hinzu. Der Troubadour verneigte sich mit überschwänglicher Dankbarkeit.
»Erlaubt mir, Hoheit, Euch meine drei Begleiter vorzustellen, ohne deren Hilfe ich nicht genug Hände hätte, um diesen großen Saal mit Klang zu füllen«, fügte er dann hinzu. »Raimond aus Limoges, ein begnadeter Flötist. Gaston, der Sohn eines Weinbauern, dem Gott die Gabe schenkte, Menschen mit der Fiedel zu verzaubern. Und schließlich Jean, Neffe des Ritters Thibaud de Veizis, ebenfalls bereits zum Ritter geschlagen, aber voller Liebe zur Kunst.«
Drei junge Männer sanken vor Aliénor in die Knie.
»Gut, sie mögen ebenfalls bleiben und sich einen Raum mit den anderen Künstlern teilen, die wir hier aufnahmen. Heute Abend dürfen sie an unserem Tisch sitzen«, sagte Aliénor gnädig, doch ohne großes Interesse an weiteren Gestalten in schäbiger Kleidung, die sich nach einem vollen Magen sehnten.
Das Geplauder des restlichen Abends rauschte an Maries Ohren vorbei. Jean, Neffe des Ritters Thibaud de Veizis, blickte kaum noch in ihre Richtung, sondern unterhielt sich mit zwei Männern des Grafen von Salisbury, an deren Seite er saß. Es war genau so, wie sie vermutet hatte. Er sah keinen Grund mehr, sie weiter zu beachten. Sie schalt sich für die Enttäuschung, die plötzlich ihr Gemüt niederdrückte, kam aber nicht dagegen an. Als die Königin aufstand, um sich in ihr Gemach zurückzuziehen, folgte Marie ihrem Beispiel. Am nächsten Morgen wäre sie sicher wieder besserer Stimmung. Es gab ein neues Lai, an dem sie schrieb, und das würde sie rasch von aller Trübsal ablenken.
Die Versammelten zerstreuten sich. Marie wartete, bis Emma und die anderen Mädchen im Gang verschwunden waren, denn sie wollte nicht unterwegs mit ihnen plaudern
müssen. Sobald der Saal halb leer war, wandte sie sich entschlossen in die Richtung ihres Gemachs.
»Ma Dame, dürfte ich einen Augenblick um Eure Aufmerksamkeit bitten?«
Sie fuhr zusammen und drehte sich um. Dann begann sie zu frösteln. Die blauen Augen waren jetzt ganz nahe, sahen ihr aufmerksam ins Gesicht.
»Was wünscht Ihr?«, fragte sie und war stolz auf den völlig gefassten Klang ihrer Stimme.
»Nun, wie soll ich beginnen …« Jean trat von einem Fuß auf den anderen. Dann lächelte er mit erstaunlicher Offenheit. Weiße Zähne blitzten auf.
»Ich würde nur gern wissen, ob Ihr Euch an mich erinnern könnt, nichts weiter.«
Marie verspürte ein Ziehen in ihrer Magengegend. Dieser hübsche Fremde konnte nicht ahnen, wie sehr er in Wales ihre Träume beflügelt hatte. Es war auch besser, wenn er nichts davon erfuhr.
»Es ist möglich, dass wir uns schon einmal trafen«, begann sie vorsichtig. »Euer Gesicht kommt mir vertraut vor. Doch muss es viele Jahre her sein. In England vielleicht?«
Das Lächeln wurde etwas breiter. Ein selbstverständliches Strahlen ging von ihm aus. Ganz wie sie damals vermutet hatte, war er zu einem schönen Mann geworden, wusste, dass er gefiel.
»Es war in England, vor ungefähr sechs Jahren, glaube ich.
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