Die Dichterin von Aquitanien
damit vorbei. Ich will gar nicht wissen, was sie mit uns machen.«
Jean drückte wieder ihr Handgelenk, diesmal etwas sanfter.
»Ich träume nicht von Ruhm und Ehre, Marie. Ich will nur mein eigenes Land, damit ich den Hof verlassen kann. Meinen jährlichen Dienst als Vasall werde ich Richard leisten, wie es meine Pflicht ist. Aber das soll mir genügen.«
Sie lehnte sich an ihn.
»Auch dein eigenes Land bekommst du niemals, wenn du in Ungnade fällst. Und warum bist du so bescheiden? Du kannst viel mehr erreichen, und ich will dir dabei nicht im Weg sein. Einem Mann, der gut kämpfen kann, steht die Welt offen.«
Er lachte auf.
»Du denkst immer, dass für Männer alles leichter ist. Aber
ich wurde nicht mit dem Schwert in der Hand geboren. Als Page am königlichen Hof war ich jedermanns Laufbursche und Prügelknabe. Es gab da einen Ritter, dem hübsche Jungen gefielen. Leider konnte ich mich nicht immer vor ihm verstecken.«
Marie rückte näher an ihn heran. War auch er benutzt worden wie sie von Cadell?
»Ich musste lernen, zu kämpfen und mich zu wehren, sonst wäre ich zugrunde gegangen«, redete Jean schnell weiter, als wolle er Fragen ausweichen. »Jetzt kann ich wenigstens Robert schützen. Ich achte Richard. Trotz seiner Jugend ist er ein Dienstherr, der seinen Rittern Bewunderung einflößt. Aber den Hof mit all diesen Schmeichlern, Wichtigtuern und Heuchlern bin ich leid. Ich will mein eigenes Land mit ein paar Weinbergen und dort leben wie mein Vater. Mit der richtigen Frau. Und das bist du, Marie.«
Sie schloss die Augen und ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken. Das Glücksgefühl war jetzt übermächtig, hatte alle Angst und Verzweiflung verdrängt. Jean streichelte ihren Rücken.
»Wenn du dieses Kind nicht bekommen kannst, dann ist daran nichts zu ändern. Wir können auch später Kinder haben«, drang seine Stimme weiter an ihr Ohr. »Es gibt Gerüchte, dass die Königin einen Krieg plant. Ich würde für Richard kämpfen. Nach Kriegen wird das eroberte Land unter den Gefolgsleuten des Siegers verteilt. Würdest du mich heiraten, Marie, wenn wir unsere eigene Burg haben könnten? Wir werden schon einen Weg finden, es möglich zu machen, wenn du nur einverstanden bist.«
Sie erstarrte in seiner Umarmung, als ihr die Bedeutung seiner Wünsche klar wurde. Das Wissen um ihre Vergangenheit erstickte alle Freude, die sie kurz hatte empfinden dürfen. Marie wich zurück und sah ihm ruhig ins Gesicht.
»Es tut mir leid, Jean, aber ich kann nicht deine Gemahlin werden«, sagte sie leise. Der verletzte Ausdruck seines Gesichts tat weh. Sie schloss die Augen.
»Schon gut, ich habe verstanden«, hörte sie ihn eisig sagen. »Aber offen gesagt bin ich es leid, mich stets heimlich in deine Gemächer zu schleichen und tagsüber so zu tun, als würden wir uns kaum kennen. Ich werde dir beistehen, wenn du mich nach deinem Besuch bei der Hebamme brauchst. Aber danach sollten wir vielleicht aufhören, uns zu sehen. Du könntest jederzeit wieder schwanger werden, und das von einem ärmlichen Habenichts, der dir nur ein paar Versprechungen bieten kann.«
Die Worte stachen wie ein Messer in Maries Fleisch, und sie fuhr auf.
»Jetzt hör mich doch wenigstens an! Ich habe bereits einen Gemahl, das ist der einzige Grund. Ich dachte, du wüsstest es. Es gibt Gerüchte.«
Jeans Augen weiteten sich ungläubig.
»Ich höre nicht auf den Klatsch bei Hof. Wer ist dein Mann? Warum sprichst du nie von ihm?«
»Weil ich ihn vergessen will«, erwiderte Marie. Dann schlang sie ihre Arme um die Knie und begann zu erzählen. Zunächst fiel es ihr schwer, mühsam verdrängte Erinnerungen wieder aufleben zu lassen, doch allmählich flossen die Worte wie von selbst aus ihrem Mund. Als sie zum ersten Mal ausgesprochen hatte, wie es wirklich zu den Narben an ihren Händen gekommen war, fühlte sie sich leichter. Manchmal mussten Wunden aufgestochen werden, um zu heilen.
Jean war aufgesprungen. Er lief wie ein nervöses Tier im Zimmer herum, trat nach einer Truhe und schlug mit der Hand gegen das Gemäuer.
»Das … das ist doch unglaublich! Wie kann man ein junges
Mädchen einem solchen Kerl ausliefern? Ich dachte, diese edlen Herrschaften würden wenigstens ihre eigenen Verwandten anständig behandeln. Aber sie haben dich verschachert wie ein Stück Vieh.«
Marie schüttelte nachsichtig den Kopf.
»Aliénor hat mich gerettet«, sagte sie. »Deshalb schulde ich ihr Dank. Alles, was ich bin, hat sie aus mir
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