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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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bereits an ihrem Tisch und schrieb einen Brief an Jean, den Guy ihm überreichen sollte.
     
    Am nächsten Tag wurde sie erneut von Guy de Osteilli abgeholt und in das kleine Turmzimmer geführt. Sie lief sogleich los, als sie Jean erblickte, doch der blasse, niedergeschlagene Ausdruck seines Gesichts jagte ihr einen Schrecken ein. Erst in seinen Armen fand sie wieder Ruhe.
    »Du hast meine Botschaft gelesen?«, fragte Marie leise. Er nickte stumm.
    »Dann hole unsere Tochter und reite nach Paris. Ich werde folgen, sobald ich eine Gelegenheit dazu finde. Die Königin wird bewacht, nicht ich. Ich habe noch die Männerkleidung,
die ich auf der Flucht aus Poitiers trug. Bevor wir nach Barfleur aufbrechen, werde ich heimlich entwischen.«
    Jean schien jedoch unempfänglich für ihre Zuversicht. Er blickte nur zu Guy de Osteilli, der keine Miene verzog.
    »Er ist ein Freund. Er wird uns helfen«, versicherte Marie und sah Guy kurz nicken.
    »Wenn der König dich erwischt, wird er kein Erbarmen mit dir haben«, meinte Jean leise. »Und er wird uns jagen wie Hunde. Er ist der mächtigste Herrscher der Christenheit. Indem er diesen Aufstand niederschlug, hat er das aller Welt bestätigt.«
    Marie stampfte auf. Sie würde sich kein zweites Mal wie ein willenloses Bündel an jenen Ort schleppen lassen, wohin der königliche Befehl sie schickte.
    »Dann müssen wir ganz weit weg. Vielleicht nach Outremer«, sprach sie den ersten Gedanken aus, der ihr in den Sinn kam. Jean nickte schwach.
    »Wir könnten vielleicht als Gaukler leben. Uns wie Ratten in einem Loch verstecken. Welche Zukunft hätte unsere Tochter?«
    Marie wurde schwindelig. Sie hatte sich geweigert, so weit zu denken.
    »Wir finden einen Weg. Es geht immer irgendwie weiter. Ich kann meine Geschichten auf Marktplätzen vortragen. Du kämpfst bei Turnieren.«
    Jean schob sie ein Stück von sich.
    »Sobald ich bei einem Turnier erscheine, weiß der König, wo ich bin«, erklärte er eindringlich. »Niemand wird uns Schutz gewähren. Welcher Herrscher unterstützt ein Mädchen, das sich dem Willen seines Familienoberhaupts widersetzt? Das könnte seine Töchter auf dumme Gedanken bringen.«

    Marie unterdrückte einen Wutschrei.
    »Du bist feige!«, zischte sie nur. Jean presste die Kiefer aufeinander.
    »Ich will dich nicht ins Unglück stürzen, das ist alles. Wenn du den König erzürnst, wirft er dich an seinen erstbesten Vasallen weg. Es wird so sein wie beim ersten Mal, und ich werde dir nicht helfen können.«
    Er senkte den Kopf und schwieg eine Weile. In Maries Kopf entstanden weiter Pläne. In Outremer gab es Land für mutige Ritter. Vielleicht würde Richard ihnen helfen, dorthin zu kommen. Wenn sie nur irgendwie nach Paris gelangen könnten …
    Sie blickte in Jeans Gesicht, wollte ihn von dieser Idee überzeugen, doch die tiefe Trauer in den blauen Augen raubte ihr allen Tatendrang. Sein Mund zuckte, als er mühsam zu sprechen begann.
    »Geh nach Edwardstowe, Marie. Es ist das Beste für dich. Sobald es möglich ist, komme ich und …«
    »Du schickst mich ins Kloster! Ausgerechnet du!«, kreischte Marie. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und hieben auf ihn ein.
    »Bevor ich dich traf, hätte es mir nicht viel ausgemacht, Nonne zu werden. Aber du hast mir gezeigt, was Liebe ist, und jetzt schickst du mich ins Kloster. In ein gottverdammtes Kloster!«
    Immer heftiger schlug sie gegen sein Gesicht und seine Brust. Er wich ihr nicht aus, versuchte nicht einmal, ihre Hände festzuhalten. Irgendwann erlahmte ihre Kraft. Sie ließ ihre Arme hilflos baumeln und fühlte wieder Tränen über ihre Wangen laufen.
    »Bitte, Marie, verlier nicht den Mut«, flüsterte Jean und schloss sie in die Arme.
    »Wir müssen uns beide beruhigen«, meinte sie, denn es
war ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wir schlafen beide noch eine Nacht, dann reden wir weiter.«
    Jean nickte nur, drückte Marie noch einmal an sich und gab sie dann frei. Eine Weile starrte er stumm in ihr Gesicht, als sähe er sie zum ersten Mal. Die blauen Augen waren feucht, und es lag so viel Liebe in ihnen, dass Marie neue Hoffnung schöpfte.
    Morgen würde sie Jean zu einer gemeinsamen Flucht überreden.
     
    Marie glaubte, wieder auf ihrem Zelter zu sitzen, musterte ihre von Leder umhüllten Schenkel und hob die Hand, um das Haar fest unter die Coiffe zu schieben, damit sie keinesfalls als Frau zu erkennen wäre. Vorwärts, immer weiter vorwärts. Richtung Paris. Kurz wähnte sie sich

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