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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Eingangstür.
    Maries erster Gedanke war, dass König Henri neben seiner Gemahlin einen schäbigen Eindruck machte. Sie nahm seine dicke, rötlich schimmernde Haarpracht zur Kenntnis und erinnerte sich an die Worte von Torqueri de Bouillon. Auch Emma und sie selbst hatten eine derart üppige Mähne auf dem Kopf, doch bei dem König war es nicht ausreichend gebürstet worden und wirkte völlig zerzaust, ebenso wie der dichte Bart, hinter dem sich die untere Hälfte seines Gesichts verbarg. Er trug einen kurzen Mantel aus brauner Wolle und seine Beine steckten in braunem Leder. Dennoch war Henri, Herrscher über viele Länder, kein Mensch, der übersehen werden konnte. Er bewegte den breiten, großen Körper mit Entschlossenheit, als schreite er auf ein Ziel zu, das ihm zu wichtig war, um ihn seine Zeit mit Belanglosigkeiten wie prächtiger Kleidung verschwenden zu lassen.
    Seine Gemahlin schien da ganz anderer Meinung zu sein,
denn ihre Erscheinung ließ das Strahlen der Kerzen und Fackeln im Raum verblassen. Der glutrote Bliaut war eng um ihre schmale Taille geschnürt und fiel in zahllosen Falten zu Boden. Spitze Ärmel von ähnlicher Länge bewegten sich bei jedem ihrer Schritte wie Teufelszungen. Ein mit Edelsteinen besetztes Diadem strahlte auf ihrem Haupt, und der zarte, fast durchsichtige Schleier wallte bis zu ihrer Taille. Marie sah goldbraunes, kunstvoll frisiertes Haar darunter schimmern. Die schöne Dame war nun weitaus eindrucksvoller hergerichtet als bei ihrer ersten Begegnung. Das Gesicht, von dem Marie so oft geträumt hatte, kam ihr jedoch fremd vor, es wirkte hochmütiger und härter. Nur die graublauen Augen waren unverändert geblieben, denn sie leuchteten immer noch wie wolkenloser Himmel in der Morgendämmerung.
    Das Königspaar nahm seinen Platz auf einer Tribüne ein, während die Anwesenden sich ehrfurchtsvoll erhoben. König Henri ließ einen ungeduldigen, aber nicht wirklich unfreundlichen Blick über die Runde schweifen.
    »Ich denke, wir sind nun alle versammelt und hungrig. Wir murmeln nun alle schnell ein Gebet, und das Mahl kann beginnen.«
    Seine Worte zauberten Diener herbei, die Schüsseln und Bretter trugen. Bald schon duftete es überall nach Braten und Gewürzen. Marie nippte an dem Wein, der ihr eingeschenkt worden war, und griff ebenso wie die anderen Anwesenden gierig nach den aufgetischten Speisen. Sie erinnerte sich an Guy de Osteillis Worte und stellte fest, dass sie tatsächlich ungewohnte Reize auf ihrem Gaumen verspürte. Ihr Leben in Huguet war einfach und überschaubar gewesen, doch jenseits davon gab es aufregende, verwirrende Erfahrungen.
    Während das Mahl im Gange war, trat ein Jüngling mit einer
Harfe vor. Er verneigte sich, strich das blonde Haar aus seiner Stirn und stimmte eine Melodie an, zu der er mit weicher, fast mädchenhafter Stimme ein Liebeslied sang. Marie schloss kurz die Augen und lauschte sehnsüchtig. Mit einem Mal meinte sie sich in einer von Guillaumes Erzählungen zu befinden. War auch ihr Ziehvater in derart riesigen, prachtvoll geschmückten Sälen vor königlichen Herrschaften aufgetreten? Sie hoffte, nun in eine Welt der Poesie und Schönheit schweben zu können, doch das Lied des Jünglings begann im Stimmengewirr zu versickern. Er klimperte tapfer weiter auf seiner Harfe, bemühte sich mit verkrampftem Gesicht lauter zu singen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In diesem Moment musste jemand einen Hund unter dem Tisch getreten haben, denn ein lautes Jaulen durchdrang alles Reden, Grölen und Gelächter.
    »Also das klang beinahe so wie der Gesang, nur kraftvoller«, rief einer der Ritter neben Guy de Osteilli. Sogleich dröhnte es in dem Saal vor schallendem Lachen. Maries Ohren schmerzten von dem hässlichen, höhnischen Klang, während das Gesicht des singenden Knaben dunkelrot anlief. So also erging es Künstlern, die versagten. In ihren Träumen von einem solchen Leben hatte sie das Versagen stets ausgeschlossen, doch nun stand es sehr deutlich vor ihr, verkörpert von einem unglücklichen Kind, denn bei genauem Hinsehen schien ihr, dass der Jüngling kaum älter als dreizehn Jahre sein konnte. Verwirrt musterte sie die kauenden, plaudernden, hämisch kichernden Münder der Anwesenden, die bedenkenlos ihr vernichtendes Urteil über einen Jungen fällten. Dabei war sein Gesang nicht schlecht gewesen, nur etwas zu schwach und langsam. Er hätte ein flotteres Lied gebraucht, um die Gemüter der Anwesenden in seinen Bann zu schlagen,

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