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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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älter als zwanzig sein konnte.
    Im Hintergrund tönte Gekicher. Die Rothaarige versteinerte für einen winzigen Augenblick, dann begann sie zu lächeln.

    »Treffende Worte von einem Bastard aus dem Hause Osteilli«, erwiderte sie spöttisch.
    »Euer Charme übertrifft Eure Schönheit, meine verehrte Emma«, kam es nun von dem Ritter. Er nutzte die kurze Sprachlosigkeit seiner Kontrahentin, um sich mit einer weiteren Verbeugung zu verabschieden. Marie bezwang mühsam ihren Wunsch, ihm hinterherzueilen. Sie wollte nicht allein unter diesen Frauen zurückbleiben, aber ebendies schien ihr Schicksal zu sein. Sie schluckte und zwang sich, die Rothaarige entschlossen anzusehen. Emma überragte sie um eine Haupteslänge, was ihr zu gefallen schien, denn sie blickte genüsslich auf Marie hinab. Ein abfälliges Lächeln umspielte den breiten, sinnlichen Mund. Emma d’Anjou hätte eine zauberhafte Dame sein können, doch ihr Gesichtsausdruck ließ auf zu viele unangenehme Eigenschaften schließen.
    »Komm zu uns, liebste Nichte. Oder soll ich besser Schwester sagen?«, flötete sie. »Ich möchte dir deine zukünftigen Gefährtinnen vorstellen.«
    Emma begann, eine Menge von Namen aufzuzählen, doch Marie war von den neuen Eindrücken zu verwirrt, um sie sich einprägen zu können. Sie stellte mit Erleichterung fest, dass ihr nicht nur feindselige Blicke entgegenschlugen. Manche der Damen schienen sehr neugierig auf die Neue in ihrem Kreis. Ein erstaunlich warmes Lächeln auf dem Gesicht einer kleinen, älteren Frau tröstete Marie in ihrer Verlorenheit, und sie lauschte aufmerksam, um zu erfahren, zu welcher Dame es gehörte. »Torqueri de Bouillon«, meinte Emma. Die lächelnde Frau trug ein hochgeschlossenes, dunkles Kleid, das sie neben den anderen Damen glanzlos wirken ließ. Diese schlichte Aufmachung machte Torqueri weniger fremd, ebenso wie Marie glich sie einer gewöhnlichen Amsel, die versehentlich in einem Schwarm von Paradiesvögeln gelandet war.

    »Es ist schön, dass du nun unter uns bist, Marie. Wir waren alle sehr gespannt, die Tochter des verstorbenen Geoffroy kennenzulernen. Es gab am Hof schon einmal ein Mädchen namens Marie d’Anjou. Sie war Emmas Halbschwester, ein weiteres uneheliches Kind des alten Grafen. Vor einigen Jahren trat sie in ein Kloster ein. Auch dir gebührt nun besonderer Rang, da du anerkannt wurdest«, erklärte sie. Marie musterte die Sprecherin erstaunt, denn bisher hatte sie sich als Eindringling empfunden. »Torqueri hat ein gütiges Herz«, erklärte Emma. »Sie beging den Fehler, es ihrem Gemahl zu schenken, doch der ersetzte sie bald schon durch seine Buhle. Vielleicht hat sie aus reiner Selbstlosigkeit eine Schwäche für uneheliche Kinder, denn ihr Gemahl zeugt ständig neue, während sie selbst niemals schwanger werden wird.«
    Marie fuhr zusammen, als hätte diese boshafte Bemerkung ihr gegolten. Auch die anderen Damen schienen Emmas Worte eher unpassend zu finden.
    »Deine scharfe Zunge macht dir keine Freunde, Emma«, sagte Torqueri leise. »Ich weiß nicht, ob du so die Liebe eines Mannes gewinnen wirst.«
    Emma fuhr herum.
    »Im Gegensatz zu dir habe ich noch Zeit«, zischte sie. Marie überlegte, wie alt Torqueri wohl sein mochte. Tiefe Falten hatten sich um ihre Mundwinkel gegraben, doch das schwarze Haar, das der leicht verrutschte Schleier an ihrer Stirn freigab, wies nur spärliche graue Strähnen auf.
    »Ich will nicht mit dir streiten, Emma. Marie sollte ihre Habseligkeiten auspacken und sich eine Weile ausruhen, bevor sie des Abends der königlichen Familie vorgestellt wird«, erklärte Torqueri gefasst und ergriff Maries Arm, um sie weiter in den Raum zu führen. Die anderen Damen machten widerspruchslos Platz. Emma zog sich sichtlich verärgert in eine Ecke zurück.

    »Nimm sie nicht ernst, sie ist einfach nur unglücklich«, flüsterte Torqueri Marie ins Ohr. »Ihr ganzes Leben hat sie im Schatten legitimer Halbgeschwister verbracht.«
    Marie nickte, obwohl sie nicht wirklich verstand, was die Dame meinte. Sie trug ihr Bündel zu einem Bett, das ihr zugewiesen wurde. Es war ihr peinlich, nur das alte Buch, ein paar Rollen Pergament und die Schiefertafel auspacken zu können, doch Torqueri half ohne eine Miene zu verziehen. Dann hielt sie Cleopatras Käfig hoch.
    »Das ist ein sehr hübscher Papagei«, erklärte sie laut. »Ich bin mir sicher, er wird allen unseren Damen gefallen.«
    Bald darauf formten die Frauen einen Kreis um Cleopatra, musterten sie

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