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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Gewässer, dessen Eisschicht spiegelglatt war und plötzlich nachgeben konnte, sodass man in vernichtende Tiefen sank.
    Sie hörte sie Atemzüge der Damen, die auf den Betten um sie herum lagen. Ein paar schnarchten. Zunächst hatte es sie überrascht, dass die prächtig geschmückten, von harter, schmutziger Arbeit verschonten Mitglieder des Hofes solch gewöhnliche Laute ausstoßen konnten, doch inzwischen war sie daran gewöhnt. Die Latrinen auf den Burgen stanken nicht anders als der Hinterhof einer Bauernhütte. Wieder einmal rief die junge Mathilde im Schlaf nach ihrer Maman. Dann erklang ein Schluchzen, bitter und zornig, um gleich darauf zu verstummen. Eine hohe, schlanke Gestalt tastete durch das Dunkel des Raums, spärlich erhellt von dem Mondlicht, das nur durch ein paar freie Ritzen zwischen Pergament und Steinmauer an den Fensteröffnungen hereindrang. Emmas dichtes, rotes Haar leuchtete kurz auf, als sie sich zaghaft nach draußen bewegte. Plötzlich sah Marie wieder den Keiler mit seinen wuchtigen Stoßzähnen, hielt die wärmenden Finger einer Blutsverwandten in der Hand. Langsam stand auch sie auf, wickelte sich in ihre Decke und suchte die Schuhe unter dem Bett, denn im Gang lagen keine Teppiche. Vorsichtig schlich Marie an den tief schlafenden Damen vorbei. Im Gang war es etwas heller, da die Maueröffnungen nicht abgedeckt worden waren. Emma kauerte auf dem Boden, das Gesicht in den Händen vergraben. Nun, da sie sich so allein wähnte, wie auch Marie es oft sein wollte, schrie sie ihr Leid aus sich heraus, schluchzte, heulte und wimmerte, ohne sich um ihre Umgebung zu kümmern. Marie ließ sich neben ihr nieder, scheinbar ohne bemerkt zu werden, denn Emma blickte nicht auf.

    »Guy de Osteilli macht sich auch aus mir nichts«, sagte Marie, als ihre Tante allmählich stiller geworden war. »Ich glaube, er findet mich einfach unterhaltsam, aber mehr ist es nicht. Er verehrt keine Frau am Hofe, nicht einmal die Königin.«
    Emma wischte sich die Tränen vom Gesicht und wandte den Kopf. Sie wirkte weder überrascht noch empört, Marie an ihrer Seite zu erblicken.
    »Ich weiß«, sagte sie nur.
    »Ich fürchte, Liebe kann man nicht erzwingen«, fuhr Marie fort. »Es gibt sehr viele Ritter am Hofe, denen du gefällst. Während des Abendmahls starren sie immer wieder in deine Richtung. Zwar beeindruckt sie Aliénors Schönheit, doch sie wissen, dass Henris Königin unerreichbar ist.«
    »Aber mir gefallen sie nicht«, kam es trotzig zurück. Marie fand keine tröstenden Worte mehr. Sie strich sanft über Emmas Hand, und als deren Finger sich um die ihren legten, staunte sie, wie viel Glück diese Berührung in ihr auslöste. Vielleicht war sie doch nicht völlig allein in dieser höfischen Welt. Es gab die gutherzige Torqueri. Und Emma, eine schwierige Person, die aber ihre Tante war, selbst wenn sie eher einer Schwester glich.
    »Kanntest du den Bruder des Königs, der mein Vater war?«, sprach sie jene Frage aus, die sie schon lange beschäftigt hatte. »Mir scheint, hier wird nicht von ihm gesprochen?«
    Emma lachte auf.
    »Wundert es dich? Henri und er bekriegten sich jahrelang, aber der arme Geoffroy zog immer den Kürzeren. Einmal wollte er sogar die schöne Aliénor entführen und zu seinem Weib machen, aber sie wehrte ihn mithilfe ihrer Ritter ab. Henri hingegen, den nahm sie freiwillig. Sie wusste, wer von beiden der geborene Sieger war. Sonst kann ich dir nicht viel über deinen Vater erzählen. Ich sah ihn einige
Male, als ich ein Kind war, vermag mich aber kaum an ihn zu erinnern.«
    Marie nahm es hin, das Kind eines geborenen Verlierers zu sein, doch schmerzte es sie, dass er wohl immer ein völlig Fremder für sie sein würde.
    »Und was ist mit deinem Vater, der mein Großvater war? Hast du ihn denn gekannt?«, fragte sie weiter.
    »Ja, ich kann mich gut an ihn erinnern«, flüsterte Emma. »Meine Mutter war das Kind eines einfachen Ritters ohne viel Land. Mein Vater schenkte ihrer Familie eine herrliche Burg bei Le Mans. Zunächst kam er fast jeden Monat vorbei, manchmal sogar öfter. Er war ein schöner Mann, Geoffroy le Bel. Groß und stattlich, mit feuerrotem Haar. Ich weiß noch, wie die Augen meiner Mutter strahlten, wenn ein Bote die Ankunft meines Vaters ankündigte. Sie hetzte die Dienstboten bis tief in die Nacht, damit am nächsten Tag alles sauber und prächtig hergerichtet war. In den Gewändern aus Seide und ihrem perlenbesetzten Diadem sah sie aus wie eine Königin, wenn

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