Die Dichterin von Aquitanien
Frage erahnt. »Ich habe sie aus meiner Heimat in den Norden gebracht, wo Menschen die Annehmlichkeiten des Lebens allesamt als Sünde betrachten. Dabei geht von Talgkerzen ein unerträglicher Gestank aus.«
Marie stimmte zu, doch war ihr dies erst bewusst geworden, als sie Aliénors Gemach betrat und merkte, dass künstliches Licht nicht unangenehm riechen musste. Doch man lernte den beißenden Geruch von Talgkerzen als selbstverständlich hinzunehmen, wenn man damit aufwuchs.
»Es mag sein, dass Ihr keine andere Wahl hattet als Louis von Frankreich zu heiraten«, sagte Marie unvermittelt. »Doch ich bin nicht adeliger Abkunft und einfache Verhältnisse gewöhnt. Anstatt Gemahlin eines walisischen Prinzen zu sein, möchte ich lieber in mein Heimatdorf zurückkehren.«
Aliénor lächelte.
»Ja, ich weiß, das hattest du vor. Aber wie weit wärest du allein wohl gekommen? Bis nach Prittlewell, denn so lange hattest du männlichen Schutz. Als junge Frau allein auf einem Schiff hätte es für dich bereits übel ausgesehen.«
Marie richtete sich trotzig auf.
»Ich wäre schon zurechtgekommen, wenn man mich nur gelassen hätte.«
»Und auf welche Weise?«, bohrte die Königin nach. Marie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wollte nicht zugeben, dass sie noch keinen klaren Plan gehabt hatte.
»Ich hätte meine höfischen Gewänder verkauft und so jemanden bezahlt, einen Händler vielleicht, damit er mich Richtung Paris mitnimmt. So wäre ich in mein Heimatdorf gekommen, im Notfall auf Umwegen«, meinte sie nach einer kurzen Pause und fand, dass dies einigermaßen überzeugend geklungen hatte. Doch die Königin lächelte erneut.
»Als meine Ehe mit Louis endlich aufgelöst worden war, da wir glücklicherweise entfernt verwandt waren und dies als Vorwand schließlich reichte, die Geistlichkeit zu überzeugen, da kehrte ich in meine Heimat in Aquitanien zurück, wo ich auf Henri warten wollte. Wir waren uns in Paris begegnet und hatten sehr schnell beschlossen zu heiraten, sobald ich endlich von Louis getrennt war«, bestätigte sie Vermutungen, die Marie in Huguet über den geplanten Verrat der treulosen Königin gehört hatte. »Doch allein auf dem Weg dorthin mussten meine Ritter drei Entführungsversuche durch glühende Verehrer abwehren, die mich zum Weibe wollten. Eine Frau ohne männlichen Schutz ist wie ein Waldtier, hinter dem eine Meute von Jagdhunden herläuft.«
Marie richtete sich entschlossen auf.
»Ich bin nicht wie Ihr, Hoheit«, erklärte sie, bemüht, dabei bescheiden und demütig zu klingen, obwohl sie über diesen Umstand im Moment erleichtert war. Trotz ihrer Jugend zog sie niemals so viele männliche Blicke auf sich wie Aliénor. Außerdem gehörte ihr kein Herzogtum, was vermutlich der wahre Grund für alle Entführungsversuche gewesen war.
»Nein, du bist nicht wie ich, und deshalb hätte dich kein Graf oder Herzog entführt, jedenfalls nicht mit der Absicht, seine Gemahlin aus dir zu machen«, meinte die Königin gleichmütig. »Aber mit einem jungen Mädchen wissen Männer allemal etwas anzufangen. Du wärest vermutlich niemals bis in dein Heimatdorf gekommen - und falls doch, wer hätte dich dort mit offenen Armen empfangen? Hast du noch Verwandtschaft?«
Marie hätte gern von Pierre erzählt, der sie von Kindheit an geliebt hatte und sicher froh gewesen wäre über ihre Rückkehr. Doch der traurige Blick, mit dem er sie ohne jeden Kampf verabschiedet hatte, und die ablehnenden Worte seiner Mutter steckten wie ein schmerzhafter Stachel in ihrer Brust. Ihr schien, dass die klugen Augen der Königin bis in ihr Innerstes blicken konnten, was jede Lüge sinnlos machte. Erschöpft senkte sie den Kopf. Guy de Osteilli hatte sie an ihrer Flucht gehindert, doch erst die Königin gab ihr das Gefühl, endgültig geschlagen zu sein.
Aliénor beugte sich vor. »Du hast dich dumm benommen, Marie«, meinte sie nun völlig ernsthaft. »Henri hasst es, wenn sich jemand seinen Befehlen widersetzt. Er bekommt dadurch Tobsuchtanfälle, zerschlägt Möbelstücke und beißt sich in Matratzen fest. Vor allem aber verhängt er harte Strafen. Du hättest dich ihm zu Füßen werfen sollen und ihn anflehen, dir diese Ehe zu ersparen. So hat es Emma bisher getan, und er verschonte sie tatsächlich. Doch indem du fortliefst, hast du seinen Zorn geweckt. Nun wirst du diesen Waliser heiraten müssen, denn es gibt keinen Ausweg mehr für dich. Widersetze dich, und Henri wird dich zwingen.«
Marie
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