Die Dichterin von Aquitanien
indem sie zwei laute Männer erfolgreich zum Schweigen gebracht hatte.
»Na gut, und was bekommen wir für die Hilfe«, fragte der Älteste, Edward, nun etwas ruhiger. Marie wurde unwohl. Sie würde ihre Mitbringsel brauchen, um die Reise nach Huguet zu bezahlen.
»Ich kann dir zeigen, was sie mir gegeben hat«, erklärte Hawisa sogleich und verschwand für einen Augenblick, um mit den zwei Bliauts und der Chemise aus feinem Leinen zurückzukommen, die Marie ihr bereits vor einiger Zeit geschenkt hatte. Im Kerzenlicht schimmerten die Stoffe und trugen einen Hauch von höfischer Pracht in den schlichten Raum. Hamelin, der andere Bruder, stieß einen Pfiff aus, während Edward das feine Tuch prüfte.
»Nicht übel. Das können wir verkaufen, aber mit Vorsicht, sonst hält man uns für Diebe.«
Hawisa reckte ihr Kinn und sagte: »In dem hellbraunen Bliaut mit Goldstickerei am Saum möchte ich eines Tages
heiraten. Den anderen kannst du meinetwegen haben«, sagte sie entschieden. Niemand widersprach. Einst hatte wohl Hawisas Mutter über diese Männerschar geherrscht, die nun bereit schien, ihre Nachfolgerin anzuerkennen.
»Gut, meinetwegen. Ich sorge dafür, dass dieses Mädchen auf ein Schiff kommt, das gen Frankreich segelt. Dann können wir die ganze Sache hoffentlich vergessen«, meinte Edward und begann, seine Suppe zu löffeln. Marie entspannte sich langsam. Für einen kurzen Moment beneidete sie Hawisa wieder um ihre Familie, die starrköpfig, aber nicht völlig unleidlich schien, dann richteten ihre Gedanken sich auf die Zukunft. Sobald sie das Herrschaftsgebiet des französischen Königs heil erreicht hatte, musste sie wieder anfangen, Geschichten zu erfinden und sich darin üben, diese geschickt vorzutragen. Sie wusste nicht, ob sie sich auf diese Weise würde ernähren können, doch war sie sich keiner anderen Talente bewusst.
Sie leerte zwei Becher von dunklem, süffigem Bier, das ihr großzügig eingeschenkt wurde, und spürte, wie ihre Augenlider erneut schwer zu werden begannen. Satt, leicht berauscht und mit weitaus mehr Zuversicht, als sie in den letzten Tagen empfunden hatte, sank sie schließlich wieder auf die Strohmatte. An ihrem Rücken spürte sie die Wärme von Hawisas zartem Körper, mit der sie das Lager teilte. Im Laufe des folgenden Tages würde Edwards Kahn sie aus der Stadt zum Hafen von Prittlewell tragen. In dem Glauben, sich bald sicher vor Verfolgung fühlen zu können, schlief sie ein.
Lärm weckte sie unsanft. Schwere Tritte brachten das Haus zum Beben. Marie sprang auf und blickte mit einer bösen Ahnung in Hawisas erschrockenes Gesicht. Die Freundin war sogleich auf den Beinen, um das Leder von der Fensteröffnung zu reißen.
»Schau, ob du dich da durchzwängen kannst! Du wirst in der Themse landen. An dieser Stelle ist sie tief, sodass du nicht kopfüber auf den Boden fällst. Kannst du schwimmen?«
Marie nickte. Als Kind war sie mit Pierre manchmal im Sommer in die Seine gesprungen, die sich ein Stück von Huguet entfernt entlangschlängelte. Sie konnte sich über Wasser halten und langsam fortbewegen.
»Tauche unter, solange dein Atem reicht, und dann schwimm ans andere Ufer!«, erklärte Hawisa entschieden und schob sie zum Fenster. Marie versuchte, der Aufforderung ihrer Freundin zu folgen, doch hatte sie alle Mühe, sich zwischen den Balken des Gemäuers hindurchzuzwängen. Marie biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu stöhnen. Unter ihr rauschte das Wasser dahin, und sie sehnte sich nach seiner schützenden Umarmung, auch wenn die Themse beängstigend breit schien. Dann spürte sie, wie jemand ihre Fesseln packte, und sie wusste, dass alles umsonst gewesen war.
Ein kräftiger Ruck beförderte sie in den Raum zurück, wo sie mit dem Kopf auf dem Steinboden aufschlug. Höllischer Schmerz schien ihren Schädel zu sprengen, und für einen Augenblick tanzten helle Lichter vor ihren Augen. Erst als sie im Nichts verschwanden, konnte sie ihre Umgebung wieder klar erkennen. Schwere Lederstiefel, die ihr breit und hoch wie Baumstämme vorkamen, kreisten sie ein. Es war still geworden. Marie wurde an den Schultern gepackt und in die Höhe gezogen.
»Es tut mir leid, Demoiselle. Das müsst Ihr mir glauben«, drang Guy de Osteillis Stimme leise an ihr Ohr. Für einen kurzen Augenblick war sie froh, unter ihren Verfolgern ein vertrautes Gesicht zu erblicken. Dann wallte der Zorn in ihr hoch.
»Ich brauche Euer Bedauern nicht! Ihr seid nichts weiter als ein
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