Die Diebe von Freistaat
fortzuführen, das er ihr widmen wollte. Er war damit bisher viel langsamer vorangekommen als mit anderen zuvor. Er hatte das Thema: er sah sie als die Morgenröte, aber nur ein paar Zeilen waren ihm soweit gelungen, und noch fehlte das richtige Versmaß. Und nun fiel ihm etwas ein:
Mit goldnem Banner zieht sie in die Schlacht, Und wirbelnd fliehn des Schattenlandes Horden Ein neuer Tag ist aus der Finsternis geworden Von meiner Liebsten Feuerglanz entfacht.
Ja, es würde ganz offensichtlich ein Rondeau werden. Deshalb waren die nächsten beiden Zeilen:
Mein Lieb’ kommt zu mir wie der helle Morgen Nach einer dunklen, traumerfüllten Nacht.
So weit war er gekommen, als sie plötzlich sagte: »Cappen, das ist ein so schöner Ausflug, eine solch herrliche Landschaft. Ich möchte morgen gern den Sonnenaufgang am Fluß beobachten. Würdest du mich begleiten?« Sonnenaufgang? Da sagte sie bereits zu Jamie. »Wir brauchen Euch da nicht zu bemühen. Ich denke nur an einen Spaziergang zur Brücke, außerhalb der Stadt. Der Weg ist überall gut bewacht und völlig sicher.«
Und zu dieser frühen Stunde herrschte kaum Verkehr.
Außerdem standen die kolossalen Statuen entlang der Brücke vor Nischen, die vor dem Blick Vorübergehender geschützt waren.
»O ja, Danlis, mit allergrößtem Vergnügen!« versicherte ihr Cappen. Für eine solche Gelegenheit war er bereit, sogar vor dem ersten Hahnenschrei aufzustehen.
Und als er es getan und Molin Fackelhalters Haus erreicht hatte, war sie nicht mehr da gewesen.
Noch ziemlich erschrocken darüber, daß Illyra ihn so davongejagt hatte, suchte Cappen Trost in Wilden Einhorn und klagte Eindaumen sein Leid. Der stämmige Mann hatte eine frühere Schicht in der Schenke übernommen, denn ein anderer Ausschank hatte sich noch nicht von den Folgen einer Auseinandersetzung mit einem Gast erholt. (Bald danach war dieser Gast mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibend unter einem Landesteg gefunden worden. Niemand zog bei Eindaumen darüber Erkundigungen ein; seine Stammgäste wußten, daß er zwar nicht unbedingt auf Ruhe und Ordnung in seinem Lokal bestand, wohl aber auf Sicherheit.) Er versicherte Cappen wortkarg sein Mitgefühl und stellte ihm ein Bett im oberen Stockwerk zur Verfügung. Der Spielmann bemerkte die stechenden und beißenden Mitbenutzer kaum.
Als er gegen Sonnenuntergang erwachte, fand er Wasser und ein Waschtuch vor, und bald fühlte er sich frisch, aber auch hungrig und durstig. Er ging hinunter in die Schankstube. Blau tat die Dämmerung sich durch die Fenster und offene Tür kund, und Schwärze hing unter den Deckenbalken. Die Kerzen auf der Theke und an einigen kleineren Tischen an der Wand verbreiteten nur schwaches Licht. Die Luft war kühl geworden und dämpfte so die üblen Gerüche im Labyrinth, dadurch roch Cappen auch ganz stark das Bier — das schon seit längerem vergossene auf den Binsen am Boden, und das frisch angezapfte, das drei Männer in der Nähe eben erst bestellt hatten — und den in der Küche schmorenden Braten.
Eindaumen kam auf ihn zu, eine schattenhafte Gestalt, außer wo Kerzenlicht sich auf seinem kahlen Kopf spiegelte. »Setz dich«, forderte er Cappen auf. »Iß, trink.« Er brachte ihm einen überschäumenden großen Krug und ein Brett, auf dem ein dickes Stück Rostbraten auf einer Scheibe Brot lag, und stellte alles auf einen Ecktisch, dann setzte er sich neben den Spielmann.
Cappen machte sich über das Fleisch her. »Du bist sehr großzügig«, murmelte er mit vollem Mund und griff nach dem Krug.
»Du wirst dafür schon bezahlen, wenn du zu Geld kommst, und wenn nicht, dann durch Lieder und Zauberkunststücke. Beides ist gut fürs Geschäft.« Danach schwieg Eindaumen und blickte seinen Gast nur an.
Erst als Cappen aufgegessen hatten, sagte der Wirt: »Während du geschlafen hast, habe ich zwei Burschen ausgeschickt, um sich umzuhören. Ich dachte, vielleicht hat irgend jemand etwas gesehen, das dir weiterhelfen würde. Keine Angst, ich habe dich nicht erwähnt, und es ist auch ganz natürlich, daß es mich interessiert zu erfahren, was tatsächlich geschehen ist.«
Der Spielmann starrte ihn an. »Du hast dir meinetwegen sehr viel Mühe gemacht.«
»Ich sagte doch, ich will es selbst auch wissen. Wenn irgendeine Teufelei im Gang ist, wen trifft es als nächsten?« Eindaumen rieb mit einer Fingerspitze über den zahnlosen Teil seines Zahnfleischs. »Natürlich, wenn du einen Glückstreffer landen solltest—ich
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