Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
Birkow«
und einer alten Schulbank den Frühstücksraum. Bis das Bed & Beakfast
eröffnete, bildete die sechs Meter hohe Aula das Zentrum von Max’ und Kikis
Familienleben. Der ehemalige Schulsaal diente gleichermaßen als Wohn-, Spiel-,
Arbeits- und Esszimmer. Dort, wo früher die Bühne gewesen war, hatte Max eine
Küchenzeile aus alten Holzresten gebaut und mit eisgrauem Lack überzogen. Das
Mittelstück bildete ein moderner Elektro-Ofen, ein Prototyp eines befreundeten
Designers. Die Herdplatten waren immer noch leer. Max hatte augenscheinlich
vergessen, dass er für die Abendmahlzeit zuständig war. Hingebungsvoll malte er
an der Schultafel Buchstaben aus: Herzlich willkommen Eva, Judith, Caroline und
Estelle. Greta steuerte ein Quartett aus lustigen Kopffüßlern bei. Das Zeichentalent
hatte sie von Kiki geerbt, das Talent, über dem Spielen alles andere zu
vergessen, von ihrem Vater.
»Ich dachte, du hast
schon mal mit dem Kochen angefangen«, motzte Kiki.
»Wir haben einen Gast
in der Fischerhütte«, entschuldigte Max sich schnippisch. »Dem musste ich erst
mal alles erklären.«
Da war er wieder, der
gereizte Ton. Immer öfter hatte er sich in den letzten Monaten zwischen Kiki
und Max eingeschlichen. Die ständige Überlastung forderte ihren Tribut. Nichts
funktionierte wie geplant und erträumt. Die Fischerhütte war als einziges
Zimmer im März fertig geworden und spülte ein wenig Umsatz in die klamme Kasse.
Max legte widerwillig
die Kreide aus der Hand und schob die acht Einzeltische, an denen später einmal
ihre Gäste frühstücken würden, zu einer langen Tafel zusammen. Die Tische
stammten aus der Kantine einer ehemaligen LPG -Betriebskantine
und hatten die Zeit nach der Wende beim Bauer Möller direkt nebenan überlebt.
Um sie herum gesellte sich ein gutes Dutzend Stühle, deren einzige Gemeinsamkeit
war, dass sie alle rot gestrichen waren. Kiki liebte die Aula. Sie kam der
Vorstellung von ihrem persönlichen Bullerbü am nächsten.
»Was ist Greta groß
geworden«, klang es vierstimmig hinter ihr.
Frisch gemacht und
umgezogen erschienen die Dienstagsfrauen in der Aula. Max hob die Hand zum
Gruß, die Freundinnen hatten nur Augen für Greta. Das kleine Mädchen sah aus,
als entspränge es direkt Kikis alten Astrid-Lindgren-Büchern. Krause blonde
Haare, pausbäckige rote Wangen, wacher Blick. Das Sweatshirt, das sie über der
geringelten Stumpfhose trug, war über und über mit Kreide verschmiert.
Angesichts der Invasion von begeisterten Tanten versteckte sie sich schüchtern
hinter den Beinen ihres Vaters. Max konnte Kikis Freundinnen nicht mal richtig begrüßen,
so fest klammerte sich das kleine Mädchen an seine Hosenbeine.
»Hier erkenne ich Kiki
wieder«, sagte Caroline. Ihrem amüsierten Blick zufolge, meinte sie damit nicht
nur die kleine Tochter, sondern vor allem die Einrichtung. Belustigt bewunderte
sie die Hirsch- und Rehgeweihe, die dicht an dicht über dem offenen Kamin
hingen. Zwischen echten Beutestücken aus DDR -Zeiten
hingen einträchtig Fundstücke aus der Moderne: ein Rehkopf aus pinkfarbenem
Wachs, ein silberner Springbock aus poliertem Aluminium, ein Hirschkopf aus
Plüsch.
»Ich kenne niemanden,
der sich allen Ernstes Geweihe an die Wand hängt. Bei dir sieht das irgendwie
gut aus«, bestätigte Eva.
»Den kapitalen Hirsch
hat Honecker höchstpersönlich erlegt«, erläuterte Kiki und wies auf den
Zehnender in der Mitte.
»Wo hast du das alles
her?«, fragte Judith ein wenig angeekelt. Als überzeugte Vegetarierin konnte
sie der makabren Sammlung wenig abgewinnen.
»Das meiste habe ich
bei Wohnungsauflösungen zusammengetragen«, erklärte Kiki. »Es gibt hier viel
mehr Leute, die weggehen als herziehen.«
»Zu den 300
Gegenständen, mit denen ein Mensch auskommt, zählen offensichtlich 50 Geweihe«,
merkte Estelle an.
»Die Wand dahinter ist
marode«, gab Kiki ehrlich zu. »Die alten Geweihe waren die billigste Lösung,
das zu kaschieren.«
Dogmatisches Denken war
noch nie Kikis Sache gewesen. Das konsequente Durchziehen eines einmal
getroffenen Plans jedoch auch nicht. Vom angekündigten Essen war nicht viel zu
erkennen. Dafür deckten Max und Greta inzwischen einträchtig den Tisch.
»Sollen wir beim Kochen
helfen?«, fragte Eva.
»Ruht euch einfach
aus«, meinte Kiki. »Ich improvisiere ein bisschen.«
Max drückte die
verdutzte Greta auf Estelles Schoß.
»Wer will was
trinken?«, fragte er in die Runde.
»Mich«, rief Greta und
bekam postwendend
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