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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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Eva und Estelle wrangen die klatschnassen
Vorgänger aus.
    »Im Hirtenweg kann es
stellenweise zu Pfützenbildung kommen«, begrüßte Estelle Judith. »Wir bitten um
erhöhte Wringfrequenz.«
    »Es tut mir so leid«,
entschuldigte sich Kiki. Sie fühlte sich persönlich verantwortlich für die
Wassermassen.
    Caroline winkte ab:
»Wenn man ein altes Haus kauft, ist man nie vor Überraschungen gefeit.«
    »Ich habe so viele
Überraschungen erlebt«, seufzte Kiki, »ich bin so was von überraschungsmüde.«
    Judith schlüpfte in
ihre Gummistiefel und schloss sich der Wisch- und Wringkolonne an. Es tropfte
an fünfzehn Stellen gleichzeitig. Sie kippte den Inhalt einer Schüssel mit
brauner Brühe durchs Fenster. »Wir brauchen was Größeres, um das Wasser aufzufangen«,
rief sie.
    Kiki, Weltmeisterin in
Zwischenlösungen, hatte die rettende Idee. Bei der Auflösung der
Schlecker-Filiale Neustrelitz hatte sie nicht nur einen günstigen Kerzenvorrat
für die nächsten zehn Jahre erbeutet, sondern zugleich für die kleinen Gäste
ein gutes Dutzend aufblasbarer Babyplanschbecken erworben. »Die konnte ich
nicht liegen lassen, so billig, wie die waren. Als ob ich geahnt hätte, dass
wir beim ersten Sturm ein Innenschwimmbad bekommen.«
    Sie verteilte die
quietschbunten Sommerartikel an ihre Freundinnen. Die Babybecken hatten
allesamt lustige Formen. Caroline bekam eine aufblasbare Ente, Kiki ein
Flugzeug, Eva einen lustigen Fisch mit Flosse. Estelle hatte besonderes Pech.
Ihr Modell Insel hatte eine integrierte Palme, die zusätzliche Atemluft
verlangte.
    »Das letzte Mal, dass
ich gepustet habe, war in ein Röhrchen«, kicherte Judith.
    »Mir ist jetzt schon
schwindelig«, klagte Eva nach drei Atemzügen.
    »Es kommt auf die
richtige Technik beim Blasen an«, meinte Kiki.
    Estelle pustete und
prustete: »Erspar uns die Details.«
    Und dann sagte sie
nichts mehr. Der Sauerstoff, den ihr Gehirn benötigt hätte, um weitere spitze
Bemerkungen hervorzubringen, floss in die Palme eines Babyplanschbeckens.
»Urlaub unter Palmen« bekam in diesen Minuten für Estelle eine vollkommen neue
Bedeutung.

14
    »Alles eine Frage der
richtigen Technik«, hatte Kiki behauptet. Evas Fisch hing immer noch schlapp in
ihren Händen. Sie bekam einfach nicht genügend Luft in das orangefarbene
Plastikungetüm. Sie atmete zu schnell und blies zu unkoordiniert. Ihre Wangen
schmerzten, ihr Kopf wurde leicht, als würde sie hyperventilieren. Panisch
lauschte Eva auf jedes Knacken im Gebälk. Was passierte eigentlich, wenn der
Plafond durchnässt war? Hatte es in der Schule nicht genauso geklungen, kurz
bevor die Deckenplatte nach unten gekommen war und den Stuhl neben ihr zermalmt
hatte? Die Angst krabbelte ihre Beine hoch, kroch über den Rücken und setzte
sich in ihren Gehirnwindungen fest. Evas Selbstdiagnose war einfach: Sie litt
unter einem Syndrom, das man gemeinhin PTBS nannte,
posttraumatische Belastungsstörung. Die konnte man selbst dann entwickeln, wenn
man einem Unglück knapp entronnen war. Allein der Gedanke, was alles hätte
passieren können, war Belastung genug. Was, wenn sie in der Schule nicht
aufgestanden wäre? Was, wenn der Sturm gleich die Fensterscheibe eindrückte und
die Splitter wie kleine Messer durch den Raum trieb? Was, wenn ein im Wind
schaukelnder Baum entwurzelt würde und aufs Dach fiel? Was, wenn sie sich im durchnässten
Pyjama eine Lungenentzündung und dann den Tod holte? Was, wenn Judith unrecht
hatte und das Schicksal gerade zum dritten und finalen Schlag ausholte? Das
Leben war lebensgefährlich. Und nicht mal mit viel Glück hatte man eine
Überlebenschance.
     
    Unangenehme Bilder kamen
nach oben. Pfarrer Rennert mit seinen hängenden Wangen tauchte vor ihrem
inneren Auge auf: »Abschiede sind schwer«, predigte er salbungsvoll in ihrer
Vorstellung, »für die, die gehen, und für die, die bleiben. Eva Kerkhoff wollte
noch so gerne bleiben.«
    Sie pustete, immer
schneller…unkoordinierter… atemlos… Der Regen peitschte einen Ast an die
Scheibe. Das Fenster sprang auf, Regen klatschte auf Eva nieder. Hilfe! Sie
sprang entsetzt auf. Das Zimmer um sie herum tanzte, sie geriet ins Taumeln,
ihr Fuß schwebte haltlos über dem Holzboden und landete schließlich auf der
nassen Schleckertüte, die blitzschnell unter ihr wegrutschte. Eva knickte weg,
verlor das Gleichgewicht und fiel. Estelles Palme verhinderte, dass sie mit dem
Kopf auf den Boden aufschlug. Statt der letzten Ölung bekam sie

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