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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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Tschüss sagen zu müssen«, meinte Kiki. »Wenn das so weitergeht,
ruiniert das Haus unsere Beziehung.«
    Estelle wusste Abhilfe:
»In Singapur arbeiten sie an einem Gerät, das Küssen via Internet möglich
machen soll. Fernküssen statt Fernweh.«
    »Hier wird der
Kussroboter nicht funktionieren«, wandte Kiki ein. »Das Internet ist manchmal
so instabil, dass Max denkt, ich rappe seit Neuestem auf Arabisch.«
    Die Dienstagsfrauen
nickten ernst. Es stand viel mehr auf dem Spiel als die Eröffnung in drei
Wochen. Es ging um Kikis Beziehung.
    Plötzlich hörte Greta
auf zu weinen. In den Augen glitzerten noch Tränen, aber auf dem Gesicht
zeichnete sich bereits ein Strahlen ab. Sie hatte etwas entdeckt, was sie ihren
Abschiedsschmerz augenblicklich vergessen ließ. Aufgeregt zappelte sie auf dem Arm
herum, bis Kiki sie auf den Boden setzte.
    »Mäh«, rief sie
begeistert und sprang wie ein kleiner Gummiflummi auf und ab: »Mäh, mäh, mäh.«
    Ihr kleiner Finger wies
auf Oskar. Der Königspudel mit dem eindrucksvollen Stammbaum trug es mit
Fassung, dass man ihn hier offenbar für ein Schaf hielt.

13
    Der Tag war aufregend, die
Nacht unruhig. Sturmtief Lukas fegte über die mecklenburgische Seenplatte, den
Müritz-Nationalpark, Birkow und die Sandkrugschule hinweg. Regen peitschte
gegen die Fensterscheiben. Wie ein zorniger Luftgeist rüttelte der Wind an den
Läden, fegte Ziegeln vom Dach, knickte Äste aus den Kronen der Bäume und pfiff
durch Schlüssellöcher und Mauerritzen. Judith starrte auf ihre Blusen, die wie
unterleibslose Gespenster im Luftzug schaukelten. Da es noch keinen
Kleiderschrank in ihrem Zimmer gab, hingen die Kleiderbügel an einem dicken
Tau, das von Wand zu Wand gespannt war.
    »Mein ganzes Leben habe
ich von einem Haus geträumt, das ich so gestalten kann, wie es mir gefällt«,
hatte Kiki betont. »Es dauert alles nur viel länger als geplant.«
    Judith störte das
Improvisierte nicht. War nicht das ganze Leben ein großes Provisorium? Sie
hatte in den letzten Jahren gelernt, dass Ankommen nicht mehr war als ein
kurzer Augenblick des Verweilens, bevor das Schicksal einen weitertrieb. Kiki
war noch nie im Leben fertig mit irgendetwas gewesen, dafür lebte sie den
Dienstagsfrauen immer wieder vor, wie man selbst in der Krise gut gelaunt auf
der Lebensstrecke unterwegs sein konnte. Judith beschloss, es Kiki nachzutun.
Wozu sich heute Sorgen machen, wenn morgen auch noch Zeit dafür war? Sie
kuschelte sich tiefer in die Kissen.
    Die Sturmgeräusche
vermengten sich in ihrem Kopf zu merkwürdigen Bildern. Der Zechpreller, der sie
mit den Kipperkarten in Kontakt gebracht hatte, erschien ihr im Traum,
geisterhaft, schwebend und unheimlich. Judith ließ sich nicht beeindrucken:
»Ich bekomme noch 50,40   Euro«, warf sie dem Geist an den Kopf.
    »Und du schuldest mir
eine Antwort«, rief der düstere Mann.
    Dabei wusste Judith
nicht einmal, was die Frage war. Ein martialisch aussehender Folterknecht kam
dem Windgeist zu Hilfe. In immer kürzeren Intervallen ließ er kaltes Wasser auf
ihren Kopf tropfen, um sie zu einer Aussage zu zwingen. Tack. Tack. Tack.
Unaufhörlich. Tack. Tack. Tack. Das Geräusch steigerte sich ins Unerträgliche
und drohte, ihre Schädeldecke von innen zu sprengen. Wasser lief ihr über die
Stirn, die Wangen, sammelte sich in den Augenhöhlen und Mundwinkeln. Als das
kalte Nass in ihr Ohr drang, fuhr Judith entsetzt aus ihrem Traum auf. Wo war
sie? Was war passiert? Sie versuchte, das unvertraute Ensemble aus Schatten und
Licht zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen. Judith tastete nach dem
Schalter der Stehlampe. Tack, tack, tack, klang es neben ihrem Bett. Als das Licht
aufleuchtete, war ihr klar: Das war kein Traum. Das war bittere Realität.
Tropfen für Tropfen suchte der Regen sich einen Weg durch das morsche Gebälk,
direkt in Judiths Bett. Das Dach der Sandkrugschule leckte.
     
    Vom Gang hörte Judith die
aufgeregten Stimmen der Dienstagsfrauen. Sie hatte wohl tiefer geschlafen, als
sie gedacht hatte, denn die Freundinnen, allesamt in Gummistiefeln und Pyjama,
leisteten bereits Nothilfe an der Wasserfront. Das kalte Nass drang nicht nur
in Judiths Zimmer, sondern auch durch die Ritzen im Gang und versackte im
löchrigen Parkett des Obergeschosses. Es war eine Frage der Zeit, wann es in
den frisch renovierten Klassenzimmern im unteren Stock anfangen würde zu
regnen. Kiki stapfte in Babydoll und Plastikschuhen durch das Wasser und
verteilte frische Handtücher.

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