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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Peetz
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Runde.
    »Können Sie bar
bezahlen?«, fragte die Kassenfachkraft Lydia laut.
    Konnte sie natürlich
nicht. Estelle bezahlte immer mit Plastik.
    Ihre Barschaft belief
sich auf geschätzte 22,36   Euro. Doch auch mit der zweiten Karte erging es ihr nicht viel
besser.
    »Die ist ungültig«,
lautete das vernichtende Urteil von Lydia. Sie drehte den Kassenschirm herum,
sodass Estelle und alle anderen mitlesen konnten.
    »Zahlung abgelehnt«,
posaunte Lydia lauthals heraus, damit auch der Letzte in der Schlange
informiert wurde, dass Estelle nicht in der Lage war, die Rechnung zu
begleichen. Estelle spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
    »Schreiben Sie es an«,
witzelte Estelle. Ihr Versuch, das Gesicht zu wahren, erwies sich als
vergebliche Mühe.
    »557,60«, wiederholte
Lydia mitleidlos. Das Kassenmädchen enthüllte seine ganze Humorlosigkeit. Sie
litt unter einer akuten Tunnelvision: 557,60 war alles, was sie denken und
sagen konnte.
    Moneta, die griechische
Göttin des Geldes, war Estelle nicht gewogen. Lydia ebenso wenig:
»Wahrscheinlich reicht die Deckung nicht.«
    Estelle schnappte nach
Luft: »Sehe ich so aus, als könnte ich nicht bezahlen?«
    »Ja«, sagte die
prosaische Lydia.
    »Ich habe noch nie ein
Limit gehabt. Seit 20   Jahren habe ich kein Limit mehr«, schimpfte Estelle.
    Die Leute in der
Kassenschlange reagierten allmählich gereizt. Da sie das entspannende Grün erst
noch käuflich erwerben mussten, prasselten die ersten Kommentare auf Estelle
nieder.
    »Lassen Sie die Ware
liegen«, herrschte die Kassiererin Kiki an, die hinten am Laufband die
gescannten Waren einpackte. »Oder können Sie etwa bezahlen?«
    Kiki hielt hilflos in
der Bewegung inne.
    Estelle sah sich
suchend um. Judith und Caroline waren nirgendwo zu sehen. Fraglich war, ob eine
von beiden den Betrag so einfach vorschießen konnte. Judith verdiente im Le
Jardin gerade mal das Nötigste und Caroline: Hatte die überhaupt ihre
Handtasche dabei?
    Estelle fühlte sich
unangenehm in die Zeit zurückversetzt, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Ihr Vater, der mit seinem Schrotthandel viel Geld verdiente und mit falschen
Freunden ebenso viel verlor, kannte gute und kannte schlechte Zeiten. In den guten
warf ihre Mutter das Geld höchstpersönlich zum Fenster raus, in schlechten lag
sie im Bett und Estelle musste mit der Barschaft aus ihrem Sparschwein dafür
sorgen, dass abends etwas auf dem Tisch stand. Die Einkäufe dauerten in diesen
Perioden ewig, weil die kleine Estelle in ein anderes Viertel ausweichen
musste. Keine Mitschülerin sollte sie mit Nudeln, Tomatenmark und einer Packung
Grieß erwischen. Manchmal fehlten an der Kasse Pfennigbeträge, und Estelle
wechselte erneut Viertel und Laden.
    »Die Frau kann nicht
bezahlen. Was soll ich machen?«, erkundigte sich Lydia lautstark bei der
Kollegin an der nächsten Kasse. Estelle kämpfte gegen die Erinnerungen, die
Scham und aufsteigende Mordgelüste.
    »Mach einen Storno«,
empfahl die Kollegin.
    Lydia griff zum
Mikrofon. Mitleidlos verkündete sie über den Lautsprecher, der im ganzen Laden
zu hören war: »Storno an Kasse vier. Bitte Storno an Kasse vier.«
    Estelle hatte geglaubt,
dass eine unglückliche Kindheit einen für alle Situationen des Lebens wappnete.
Jetzt fühlte sie sich, als wäre sie wieder acht Jahre alt und genauso beschämt
wie früher. Inzwischen wollte niemand mehr die Schlange verlassen. Die Kunden
warteten wie Schaulustige bei einem Unfall auf blutige Details.
    »Ich regle das mit dem
Chef«, meinte Estelle lässig zu Kiki. »Wir kaufen auf Rechnung.«
    Kiki reagierte nicht.
Ihr Blick war starr auf die Tür zum Kassenbüro gerichtet. Von dort nahte
Unheil. Estelle drehte sich um und fühlte, dass diese Schlacht verloren war.
Deutlich war das Namensschild der Oberaufsicht zu lesen: Peggy. Vermutlich war
sie auf Krawall gebürstet und erpicht darauf, den Städterinnen zu zeigen, wer
hier das Sagen hatte.
    »Kann das noch dazu?«,
rief eine Stimme aus dem Hintergrund. Judith und Caroline drückten sich an der
Schlange vorbei Richtung Kasse. »Wir haben noch ein paar Kleinigkeiten
gefunden.«
    Judith verstummte. Hier
wurde nicht kassiert, hier wurde die zweite Runde in der Auseinandersetzung
zwischen Kiki und Peggy eingeläutet.
    »Gibt es ein Problem?«,
erkundigte sich Caroline.
    »Estelles Karten. Alle
gesperrt«, murmelte Kiki.
    Keine der Frauen hatte
Hoffnung, dass sie heute auch nur das kleinste bisschen Grün mit nach Hause
nehmen konnten.
    Über

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