Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
hakte seine Daumen in den Gürtel. »Gut, wenn Ada Byron wirklich einen Modus gefunden hat, wird sie nicht mehr lange Schulden haben!«
Fraser schenkte ihm ob solcher Naivität einen mitleidigen Blick. »Ein wahrer Modus würde das System der Spielbanken oder, in diesem Fall, die Institutionen des Rennsports zerstören! Er würde all Ihren Sportsfreunden die Lebensgrundlage entziehen … Haben Sie jemals gesehen, wie es einem betrügerischen Buchmacher ergeht, wenn die Menge der Wettlustigen ihm auf die Schliche kommt? Ähnlichen Aufruhr würde ein Modus bringen. Ihre Ada mag ein großer Blaustrumpf sein, aber sie hat nicht mehr gesunden Menschenverstand als eine Stubenfliege!«
»Sie ist eine große Gelehrte, Mr. Fraser! Ein großes Genie. Ich habe ihre Abhandlungen gelesen, und die superbe Mathematik …«
»Lady Ada Byron, Königin der Maschinen«, sagte Fraser in einem bleiernen Tonfall, der mehr Überdruss als Verachtung verriet. »Eine willensstarke Frau! Wie ihre Mutter, nicht? Trägt grüne Brillen und schreibt gelehrte Bücher … Sie möchte das Universum umstürzen und mit den Hemisphären Würfel spielen. Frauen wissen nie, wann sie aufhören müssen …«
Mallory lächelte. »Sind Sie verheiratet, Mr. Fraser?«
»Nein«, mümmelte Fraser.
»Ich auch nicht, noch nicht. Und Lady Ada hat nie geheiratet. Sie war stets eine Braut der Wissenschaft.«
»Jede Frau braucht einen Mann, der ihre Zügel hält«, behauptete Fraser. »Das ist Gottes Plan für die Beziehungen von Männern und Frauen.«
Mallory runzelte die Stirn.
Fraser sah seinen Blick und dachte noch einmal nach. »Es ist die evolutionäre Anpassung der menschlichen Rasse«, verbesserte er sich dann.
Mallory nickte bedächtig.
Fraser zeigte einen entschiedenen Widerwillen gegen eine Begegnung mit Benjamin Disraeli und entschuldigte sich damit, dass er die Straßen im Auge behalten und nach Spionen Ausschau halten müsse, doch hielt Mallory es für sehr viel wahrscheinlicher, dass Fraser Disraelis Ruf kannte und der Diskretion des Journalisten nicht traute. Kein Wunder!
Mallory kannte viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in London, aber Disraeli war gewissermaßen der Londoner der Londoner. Mallory achtete ihn nicht sonderlich, aber er betrachtete ihn als einen amüsanten Gesprächspartner. Disraeli kannte alle Intrigen hinter den Kulissen des Unterhauses, oder gab vor, sie zu kennen, er besuchte alle Soireen und literarischen Salons der vornehmen Damen der Gesellschaft. Und er hatte eine schlaue Art, auf sein Wissen anzuspielen, die beinahe magisch war.
Mallory wusste, dass Disraeli von drei oder vier vornehmen Clubs abgewiesen worden war, weil er, obschon ein erklärter und bekannter Agnostiker, von jüdischer Herkunft war. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – war es ihm durch seine Umtriebigkeit gelungen, den unüberwindlichen Eindruck zu erzeugen, dass jeder Londoner, der ihn nicht kannte, ein Schwachsinniger sein oder im Sterben liegen müsse. Es war wie eine mystische Aura, die den Mann umgab, und es gab Zeiten, da selbst Mallory nicht umhinkonnte, es zu glauben.
Eine Haushälterin mit Morgenhaube und Schürze ließ Mallory ein. Disraeli war gerade aufgestanden und verzehrte sein Frühstück aus starkem schwarzen Kaffee und einem Teller stinkender, in Gin gebratener Makrelen. Er trug Pantoffeln, einen Morgenmantel und einen türkischen Fes aus Samt mit einer Quaste. »Morgen, Mallory. Schrecklicher Morgen. Bestialisch.«
»Das kann man sagen.«
Disraeli stopfte die letzte seiner Makrelen in den Mund und begann, sich nach den Zutaten für die erste Pfeife des Tages umzusehen. »Tatsächlich sind Sie genau der richtige Mann, den ich heute sprechen muss, Mallory. Ein bisschen Erfahrung als Locher, technisch versiert.«
»So?«
»Ein neues verdammtes Ding, das ich erst letzten Mittwoch kaufte. Der Verkäufer schwor, es würde das Leben leichter machen.« Disraeli ging voraus in sein Büro, einen Raum, der an Mr. Wakefields Büro im Zentralamt für Statistik gemahnte, doch in seinen Abmessungen und seiner Ausstattung weit weniger ehrgeizig war, hingegen übersät mit Tabakresten, zweifelhaften Zeitschriften und halb gegessenen Sandwiches. Am Boden lagen zugeschnittene Korkstücke und Haufen von zerfetztem Seidenpapier.
Mallory sah, dass Disraeli sich eine Colt & Maxwell-Schreibmaschine gekauft hatte. Es war ihm sogar gelungen, das Ding aus seiner Lattenkiste zu hieven und auf den geschwungenen gusseisernen
Weitere Kostenlose Bücher