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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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dies nennen sie den ›Großen Gestank‹. Alle Herrschaften von Stand haben ihre Reisen geplant oder sind bereits abgereist. Kaum ein Mensch von Bedeutung wird in London zurückbleiben. Es heißt, sogar das Parlament wolle stromauf nach Hampton Court fliehen, und die Gerichtshöfe nach Oxford!«
    »Was denn, wirklich?«
    »O ja. Schlimme Maßnahmen sind in Vorbereitung. Natürlich alles sub rosa geplant, um eine Massenpanik zu verhüten.« Disraeli wandte sich auf seinem Stuhl herum und zwinkerte. »Aber Maßnahmen kommen, darauf können Sie sich verlassen.«
    »Welche Maßnahmen denn?«
    »Rationierung des Trinkwassers, Stillegung von Großfeuerungen der Industrie, der Gasbeleuchtung und was dergleichen mehr ist«, sagte Disraeli in munterem Ton. »Man kann über die Institution der Verleihung von Adelstiteln nach dem Verdienst sagen, was man will, aber wenigstens hat sie dafür gesorgt, dass die Führung unseres Landes nicht dumm ist.«
    Er breitete seine Notizen vor sich aus. »Die Regierung hat höchst wissenschaftliche Pläne für unvorhergesehene, aber mögliche Schwierigkeiten, wissen Sie. Invasionen, Feuersbrünste, Dürre und Seuchen …« Er leckte sich den Daumen und blätterte in den Notizen. »Manche Leute sind ganz vernarrt in die Beschäftigung mit allerlei möglichem Unheil.«
    Mallory wollte diesen Klatsch nicht so recht glauben. »Was genau steht in diesen Vorsorgeplänen?«
    »Alles Mögliche, bis hin zur Evakuierung der Bevölkerung, nehme ich an.«
    »Sie wollen doch nicht andeuten, dass die Regierung die Absicht haben könnte, ganz London zu evakuieren!«
    Disraeli lächelte boshaft. »Wenn sie die Themse vor dem Parlament röchen, würden Sie sich nicht wundern, dass unsere Gesetzgeber ausreißen wollen.«
    »So schlimm ist es?«
    »Die Themse ist eine faulige, verseuchte Gezeitenkloake!«, verkündete Disraeli. »Eingedickt mit Zutaten von Brauereien, Gaswerken und chemischen Fabriken! Fauliger Schleim hängt wie verrotteter Seetang von den Pfahlwerken an der Westminster Bridge, und jeder durchfahrende Dampfer wühlt mit seinen Schaufelrädern eine schlammige Brühe auf, deren Gestank die Besatzung schier überwältigt!«
    Mallory lächelte. »Sie haben einen Leitartikel darüber geschrieben, wie?«
    Disraeli zuckte mit den Achseln. »Für den Morning Clarion … Ich gebe zu, dass meine Rhetorik manchmal etwas sehr farbig ist, aber wir haben einen verdammt sonderbaren Sommer, und das ist die Wahrheit. Ein paar richtige Regentage, um die Themse auszuspülen und diese eigenartigen, erstickenden Wolken mit frischer Seeluft zu vertreiben, und alles wird gut sein. Aber wenn dieses Wetter noch länger andauert, werden die älteren Leute und alle, die schwache Lungen haben, schwer zu leiden haben.«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    Disraeli sagte halblaut: »Es heißt, in Limehouse sei wieder die Cholera ausgebrochen.«
    Mallory erschrak. » Wer sagt das?«
    »Gerüchte. Aber wer wird unter diesen Umständen daran zweifeln? In solch einem elenden Sommer ist es nur zu wahrscheinlich, dass schädliche Ausdünstungen, verseuchtes Wasser und die starke Zunahme schädlicher Krankheitskeime durch Hitze und Schmutz zur Verbreitung tödlicher Seuchen führen.« Disraeli klopfte seine Pfeife aus und stopfte sie aus einem Tabaksbeutel mit schwarzem türkischen Feinschnitt. »Diese Stadt ist mir lieb und teuer, Mallory, aber es gibt Zeiten, da muss die Zuneigung umsichtiger Besonnenheit den Vorrang lassen. Sie haben Familie in Sussex, wie mir bekannt ist. Ich an Ihrer Stelle würde sofort abreisen und mich zu ihr begeben.«
    »Aber ich habe in zwei Tagen einen Vortrag über den Brontosaurus zu halten. Mit Kinotrop-Begleitung!«
    »Sagen Sie den Vortrag ab«, erwiderte Disraeli. Er fummelte mit einem Feuerzeug. »Verschieben Sie ihn.«
    »Das ist unmöglich. Es wird eine große Veranstaltung sein, ein bedeutendes fachliches und öffentliches Ereignis!«
    »Mallory, es wird niemand kommen, Sie zu hören. Niemand, auf den es ankommt, jedenfalls. Sie werden vergeblich reden.«
    »Es werden arbeitende Menschen kommen«, widersprach Mallory. »Die einfacheren Klassen können sich ein Verlassen Londons nicht leisten.«
    »Oh«, sagte Disraeli. Er nickte und paffte Rauch. »Das wird großartig. Die Leute, die sonst Schundhefte lesen. Vergessen Sie nicht, mich Ihrem Publikum zu empfehlen.«
    Mallory biss die Zähne zusammen.
    Disraeli seufzte. »An die Arbeit. Wir haben eine Menge zu tun.« Er pflückte die letzte

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