Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Nummer von Family Museum von einem Regal. »Was halten Sie von der Episode der letzten Woche?«
»Viel. Die bisher beste.«
»Zu viel verdammte wissenschaftliche Theorie darin«, klagte Disraeli. »Es braucht mehr gefühlsmäßiges Interesse.«
»Was ist gegen Theorie einzuwenden, wenn es gute Theorie ist?«
»Niemand außer einem Spezialisten will über den Gelenkdruck eines Reptilienkiefers lesen. Um die Wahrheit zu sagen: Es gibt nur eins, was die Leute über Dinosaurier wirklich wissen wollen: warum die Teufelsdinger alle ausgestorben sind.«
»Ich dachte, wir seien übereingekommen, das für den Schluss aufzusparen.«
»Gewiss, ja. Es gibt einen schönen Höhepunkt ab, diese Geschichte vom Einschlag des Riesenkometen und dem großen schwarzen Staubsturm, der alles Reptilienleben auslöschte, und so weiter. Sehr dramatisch, sehr katastrophenhaft. Das ist es eben, was die Öffentlichkeit an der Katastrophentheorie schätzt. Katastrophe ist aufregender als dieses Uniformistengeseire über die Frage, wie viele tausend Millionen Jahre die Erde alt ist. Langweilig bis zum Überdruss!«
»Ein Appell an vulgäre Emotion ist weder hier noch dort angebracht!«, sagte Mallory hitzig. »Die Beweise stützen meine Theorie! Sehen Sie sich den Mond an – er ist bedeckt mit Einschlagkratern von Kometen!«
»Ja«, lenkte Disraeli geistesabwesend ein. »Strenge Wissenschaftlichkeit, umso besser.«
»Niemand kann erklären, wie die Sonne auch nur zehn Millionen Jahre brennen konnte. Kein Brennstoff würde so lange vorhalten – es verletzt elementare Gesetze der Physik!«
»Lassen Sie es einstweilen gut sein. Ich bin ganz einverstanden mit Ihrem Freund Huxley, dass wir die öffentliche Unwissenheit aufklären sollten, aber hin und wieder muss man dem Hund einen Knochen hinwerfen. Unsere Leser möchten etwas über Leviathan-Mallory wissen, den Menschen.«
Mallory grunzte.
»Darum müssen wir zu der Sache mit diesem Indianermädchen zurückkehren.«
Mallory schüttelte den Kopf. Das hatte er befürchtet. »Sie war kein ›Mädchen‹. Sie war eine Eingeborenenfrau …«
»Wir haben bereits erklärt, dass Sie nie heirateten«, fuhr Disraeli in geduldigem Ton fort. »Sie wollten kein englisches Mädchen zum Schatz. Die Zeit ist gekommen, dieses Indianermädchen vorzustellen. Sie brauchen weder unanständig noch unverblümt zu sein. Einfach ein paar freundliche Worte über sie, eine Galanterie oder zwei, ein paar Andeutungen. Frauen wünschen so etwas, Mallory. Und sie lesen viel mehr als Männer.« Disraeli nahm seinen Füllfederhalter vom Schreibtisch. »Sie haben mir noch nicht mal ihren Namen gesagt.«
Mallory setzte sich auf einen Stuhl. »Die Cheyenne haben keine Namen wie wir. Schon gar nicht ihre Frauen.«
»Sie muss doch irgendwie gerufen worden sein.«
»Nun, manchmal wurde sie Witwe-der-Roten-Decke genannt, und manchmal Mutter-der-Gefleckten-Schlange, oder Mutter-des-Lahmen-Pferdes. Aber ich könnte die Richtigkeit keines dieser Namen wirklich beschwören. Wir hatten diesen ständig betrunkenen Halbblut-Franzosen als Dolmetscher bei uns, und der flunkerte, was das Zeug hielt.«
Disraeli war enttäuscht. »Dann sprachen Sie niemals direkt mit ihr?«
»Ich weiß nicht. Mit der Zeit konnte ich mich ziemlich gut per Handzeichen verständigen. Ihr Name war Wak-si-ni-ha-wa oder so ähnlich.«
»Wie wäre es, wenn ich sie ›Präriemädchen‹ nennen würde?«
»Sie war eine Witwe! Sie hatte zwei erwachsene Kinder. Es fehlten ihr ein paar Zähne, und sie war mager wie eine Wölfin.«
Disraeli seufzte. »Sie kooperieren nicht, Mallory.«
Mallory zupfte an seinem Bart. »Nun gut. Sie war eine ausgezeichnete Näherin, das könnten Sie sagen. Wir gewannen ihre … äh … Freundschaft, indem wir ihr Nadeln schenkten. Stahlnadeln statt der Splitter von Bisonknochen. Und Glasperlen, versteht sich. Sie wollen alle Glasperlen.«
»›Anfangs scheu, wurde Prärieblume durch ihre angeborene Liebe zu weiblichen Fertigkeiten gewonnen‹«, zitierte Disraeli, als er den Satz niedergeschrieben hatte. So ging es weiter, Stück für Stück, während Mallory unbehaglich auf seinem Stuhl herumrutschte.
Es hatte nichts mit der Wahrheit zu tun. Die Wahrheit konnte in einer zivilisierten Zeitung nicht geschrieben wer den. Mallory hatte die ganze Geschichte erfolgreich verdrängt, aber er hatte sie nicht vergessen, zumindest nicht ganz. Während Disraeli dasaß und seinen sentimentalen Schmus zu Papier brachte, brandete die
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