Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Unter der Berührung seines Fingers zerfiel sie zu feiner Asche.
Fraser stand an einem Laternenmast auf der anderen Straßenseite und rief zu ihm herüber. »Dr. Mallory!« Er winkte in einer Art und Weise, die für ihn bemerkenswert lebhaft war; verspätet begriff Mallory, dass Fraser wahrscheinlich schon seit einiger Zeit zu ihm herüberrief.
Mallory arbeitete sich springend und ausweichend durch den Verkehr von Droschken, Fuhrwerken, Karren und Dampfwagen. Dazwischen drängte sich eine große Herde blökender, hustender Schafe. Keuchend vor Anstrengung erreichte er die andere Straßenseite.
Zwei Fremde standen mit Fraser unter dem Laternenmast. Beide hatten die Gesichter mit weißen Taschentüchern verhüllt. Der Größere musste schon längere Zeit durch sein Taschentuch geatmet haben, denn der Stoff unter seiner Nase war gelblich braun verfärbt. »Nehmt sie ab, Jungs«, befahl Fra ser. Die beiden Fremden zogen ihre Taschentücher unwillig von den Gesichtern.
»Der hüstelnde Herr!«, rief Mallory verblüfft.
»Gestatten Sie«, sagte Fraser, »dies ist Mr. J. C. Tate, und dies ist sein Partner Mr. George Velasco. Sie bezeichnen sich als vertrauliche Agenten oder so ähnlich.« Frasers Lippen wurden dünner, dehnten sich beinahe in einem Lächeln. »Ich glaube, ihr habt Dr. Edward Mallory bereits kennengelernt.«
»Wir kennen ihn«, sagte Tate. An seinem Unterkiefer war eine geschwollene purpurne Prellung. Das Taschentuch hatte sie verborgen. »Ein verdammter Irrer ist er! Gewalttätiger Tollhäusler! Gehört in eine Anstalt!«
»Mr. Tate war Beamter unserer städtischen Polizei«, sagte Fraser und fixierte Tate mit bleiernem Blick. »Bis er seinen Posten verlor.«
»Ich gab ihn auf!«, erklärte Tate. »Ich kündigte aus Prinzip, weil es bei der Londoner Polizei nicht möglich ist, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, und das weißt du so gut wie ich, Ebenezer Fraser.«
»Was Mr. Velasco betrifft, so ist er ein Möchtegern-Dunkelmann«, sagte Fraser in nachsichtigem Ton. »Der Vater kam als spanischer Royalistenflüchtling nach London, aber unser junger Mr. George ist imstande, sich für alles herzugeben – falsche Pässe, Schmiere stehen, durch fremde Schlüssellöcher spähen, prominente Gelehrte auf der Straße niederschlagen …«
»Ich bin ein gebürtiger britischer Bürger«, sagte der dunkelhaarige kleine Mann mit einem bösartigen Blick zu Mallory.
»Spiel dich nicht auf, Fraser«, maulte Tate. »Du bist genauso Streife gegangen wie ich, und wenn du heute eine große Nummer bist, dann ist es nur, damit du für die Regierung auf schmutzigen Skandalen sitzen kannst. Leg uns die Handschellen an, Fraser! Nimm uns in Gewahrsam! Mach, was du willst! Ich habe meine eigenen Freunde, weißt du.«
»Ich werde nicht zulassen, dass Dr. Mallory dich erneut schlägt, Tate. Sei unbesorgt. Aber sag uns, warum du ihm nachgegangen bist.«
»Berufsgeheimnis«, protestierte Tate. »Kann einen Kunden nicht verraten.«
»Sei kein Dummkopf«, sagte Fraser.
»Dein feiner Herr hier ist ein verdammter Mörder! Ließ seinen Rivalen ausweiden wie einen Fisch!«
»Ich habe nichts dergleichen getan«, zischte Mallory erbost. »Ich bin ein Gelehrter und Mitglied der Royal Society, kein Hintertreppenverschwörer!«
Tate und Velasco tauschten Blicke ungläubigen Staunens. Velasco begann hilflos zu kichern.
»Was ist so erheiternd daran?«, fragte Mallory.
»Sie wurden von einem Ihrer Kollegen angeheuert«, sagte Fraser. »Es handelt sich also um eine Intrige der Royal Society. Habe ich recht, Tate?«
»Ich sagte dir, dass ich nichts verrate.«
»Ist es die Freihandelskommission?«, fragte Mallory. Keine Antwort. »Ist es Charles Lyell?«
Tate rollte mit den vom Rauch geröteten Augen und stieß Velasco in die Rippen. »Er ist so rein wie der Schnee, dein Dr. Mallory, genau wie du sagst, Fraser.« Er wischte sich das Gesicht mit seinem fleckigen Taschentuch. »Hübsch weit ist es gekommen, hol’s der Teufel! London stinkt zum Verderben, und das Land in den Händen gelehrter Tollköpfe mit zu viel Geld und Herzen aus Stein!«
Mallory hatte gute Lust, dem unverschämten Gauner eine weitere Kostprobe seiner Faust zu geben, unterdrückte aber den nutzlosen Instinkt. Stattdessen strich er sich professorenhaft den Bart und lächelte Tate kalt und überlegen an.
»Wer auch immer Ihr Brotgeber sein mag«, sagte Mallory, »er wird nicht sehr glücklich sein, dass Mr. Fraser und ich Sie aufgedeckt haben.«
Tate
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