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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Taschenmessers am Rand seiner Stiefelsohle zu schärfen. Im Gegensatz zu ihm hatte Radley unter der anregenden Wirkung des Alkohols geradezu gezittert, mit geröteten Wangen und blitzenden Augen.
    Oliphants Besuch hatte den Zweck gehabt, Houston am Vorabend seiner Reise nach Frankreich zu verwirren und zu beunruhigen, aber die Zurschaustellung kaum verhohlener gegenseitiger Feindseligkeit zwischen dem General und seinem Propagandisten war für ihn ganz unerwartet gewesen.
    Er hatte gehofft, im Hinblick auf die Rundreise durch Frankreich Zweifel auszusäen: Zu diesem Zweck, und hauptsächlich zu Radleys Gunsten, hatte er es fertiggebracht, ein übertriebenes Maß von Kooperation zwischen den Geheimdiensten Großbritanniens und Frankreichs zu implizieren. Oliphant hatte angedeutet, dass Houston bereits mindestens einen mächtigen Feind in der Police des Châteaux habe, der Leibwache und persönlichen Geheimpolizei des Kaisers Napoleon. Zwar sei die Police des Châteaux zahlenmäßig unbedeutend, ließ Oliphant durchblicken, doch sei sie andererseits frei von allen legalen und verfassungsmäßigen Beschränkungen. Zumindest Radley hatte trotz seines Zustandes die darin enthaltene Drohung verstanden. Sie waren von einem Pagen unterbrochen worden, der eine Notiz für Radley gebracht hatte. Als die Tür geöffnet worden war, hatte Oliphant das ängstlich besorgte Gesicht einer jungen Frau im Foyer erblickt. Radley hatte sich mit der Erklärung entschuldigt, dass es notwendig sei, kurz mit einer journalistischen Kontaktperson zu sprechen.
    Ungefähr zehn Minuten später war Radley in den Rauchsalon zurückgekehrt. Bald darauf war Oliphant gegangen, nachdem er eine ausgedehnte und besonders blumenreiche Tirade des Generals ertragen hatte, dem es gelungen war, wäh rend Radleys Abwesenheit mehr als einen Viertelliter Brandy zu konsumieren.
    In der frühen Morgendämmerung durch ein Telegramm zum Hotel zurückgerufen, hatte Oliphant als Erstes den Hoteldetektiv aufgesucht, einen Beamten der städtischen Polizei im Ruhestand namens McQueen, der vom Empfangschef, Mr. Parkes, zu Houstons Zimmer Nummer 24 gerufen worden war.
    Während Parkes sich bemühte, die hysterische Frau eines Straßenbauunternehmers aus Lancashire zu beruhigen, die zur Zeit des Geschehens im Nebenzimmer gewesen war, hatte McQueen am Knopf von Houstons Zimmertür gedreht und entdeckt, dass sie unversperrt war. Schnee wehte durch das zerbrochene Fenster herein, und die bereits stark abgekühlte Luft roch nach verbranntem Schießpulver, Blut, und, wie McQueen es zartfühlend ausdrückte, »dem Darminhalt des verstorbenen Herrn«. Beim Anblick der blutigen Ruine, die Radleys Leichnam war und die im kalten Licht des Morgengrauens allzu gut sichtbar war, hatte McQueen Parkes zugerufen, er solle telegrafisch die Polizei verständigen. Darauf hatte er seinen Zentralschlüssel benutzt, die Tür zu verschließen, hatte dann eine Lampe angezündet und den Blick von der Straße mit den Resten eines der Vorhänge verhängt.
    Der Zustand von Radleys Kleidung deutete darauf hin, dass die Taschen durchsucht worden waren. Mehrere persönliche Gegenstände lagen in der Blutlache: ein Feuerzeug, ein Zigarrenetui, Münzen verschiedener Wertstufen. Mit der Lampe in der Hand durchsuchte der Detektiv das Zimmer und fand eine Taschenpistole des Fabrikats Leacock & Hutchings mit Ebenholzgriff. Der Abzughebel der Waffe fehlte. Aus dreien der fünf Läufe waren erst kürzlich Kugeln abgefeuert worden. Bei Fortführung seiner Suche hatte McQueen den vergoldeten Griff von General Houstons Spazierstock zwischen zersplittertem Glas entdeckt. Nahebei lag ein blutbesudeltes Päckchen, fest eingewickelt in braunes Papier. Es enthielt hundert Kinotrop-Karten, deren komplizierte Lochungen von zwei Geschossen durchschlagen und ruiniert worden waren. Die Kugeln selbst, aus weichem Blei und stark deformiert, fielen McQueen in die Handfläche, als er die Karten untersuchte.
    Die anschließende Überprüfung des Raumes durch Spezialisten der Sonderabteilung – die Stadtpolizei war auf Oliphants Betreiben rasch von der Bearbeitung des Falles entbunden worden – konnte den Beobachtungen des Veteranen McQueen nur wenig hinzufügen. Der Abzughebel des Leacock & Hutchins-Pfefferstreuers wurde unter einem Sessel entdeckt. Mehr Aufsehen erregte der Fund eines viereckig geschliffenen Brillanten von fünfzehn Karat und sehr hoher Qualität, der fest eingeklemmt zwischen zwei Dielenbrettern steckte.
    Zwei

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