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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Sam Houston nicht – aber die Franzosen werden uns so oder so helfen! Ihre mexikanischen Klienten haben einen Grenzkrieg mit den Texanern. Sie brauchen den General!«
    »Dann willst du also in den Krieg ziehen, Mick?« Sie fand es schwierig, sich den Stutzer Mick Radley vorzustellen, wie er eine Kavallerieattacke anführte.
    »Es wird eher wie ein Staatsstreich sein«, versicherte er ihr. »Wir werden nicht viel Blutvergießen sehen. Ich bin Houstons politischer Mann, verstehst du, und ich werde sein Mann bleiben, denn ich bin derjenige, der seine Vorträge in London und in Frankreich organisiert hat, und ich bin derjenige, der gewisse Schritte unternommen hat, die dazu führten, dass ihm seine Audienz beim französischen Kaiser gewährt wurde …« Konnte das wirklich wahr sein? Bevor sie sich darüber schlüssig werden konnte, fuhr er fort: »Und ich bin derjenige, der Manchesters neueste und beste Erzeugnisse für ihn durch das Kinotrop laufen lässt, der die Presse und die britische öffentliche Meinung für ihn einnimmt und die Plakatkleber mietet …« Er zog an seiner Zigarre, knetete mit den Fingern ihre Klitoris und stieß selbstzufrieden eine große Rauchwolke mit Kirscharoma aus.
    Aber ihm musste nicht danach gewesen sein, sie noch einmal zu besteigen, denn bald war sie eingeschlafen und träumte von Texas, einem Texas mit grünen Hügeln, zufriedenen Schafen und grauen Herrenhäusern, deren Fenster im Sonnenschein des Spätnachmittags glänzten.
    Sybil saß in der drittletzten Reihe des Parketts, neben sich den Mittelgang des Garrick-Theaters, und dachte unglück lich, dass General Sam Houston, vormals Präsident von Texas, keine große Menschenmenge anlockte. Während die Fünf-Mann-Combo quietschte und sägte und tutete, tröpfelte ein bescheidenes Publikum herein. In der Reihe vor ihr nahm eine Familie Platz, zwei Jungen in blauen Jacken und Hosen mit Matrosenkragen, ein kleines Mädchen mit Schal und bortenbesetztem Kleid, dann zwei weitere kleine Mädchen, die von ihrer Gouvernante beaufsichtigt wurden, einer mageren Frau mit Hakennase und wässrigen Augen, die in ihr Taschentuch schniefte. Danach der älteste Junge, betont lässig, ein überlegenes Lächeln im Gesicht. Schlussendlich dann auch Papa mit Frack und Spazierstock und Schnurrbart sowie die fette Mama mit langen Ringellocken und einem großen, schrecklichen Hut und drei goldenen Ringen an den dicken weichen Fingern. Endlich saßen sie alle, hantierten geschäftig mit Schals, Mänteln und Handschuhen und begannen, kandierte Orangenschalen zu essen, durchaus wohlerzogen und Besserung verheißend. Sauber und reinlich und gedeihlich in ihren gut sitzenden maschinengewebten Kleidern.
    Ein Buchhaltertyp mit Brille setzte sich auf den Platz neben Sybil. Seinen Haaransatz hatte er ausrasiert und von der Stirn fast zwei Fingerbreit zurückverlegt, um aus der niedrigen eine hohe Stirn zu machen und Intellekt zu suggerieren. Er las Micks Programm und lutschte Zitronendrops. Und jenseits von ihm hatten sich drei Offiziere niedergelassen, anscheinend Urlauber aus dem Krimkrieg, die sehr mit sich zufrieden schienen und gekommen waren, um von einem altmodischen Krieg in Texas zu hören, der noch auf die altmodische Art ausgefochten wurde. Verstreut im Publikum saßen noch weitere Soldaten, auffallend in ihren roten Röcken, Militärpersonen der ehrbaren Art, die nicht hinter billigen Huren und Gin her waren, sondern den Sold der Königin verwendeten, um sich in ballistischen Bahnberechnungen zu vervollkommnen und nach ihrer Demobilisierung im Eisenbahnwesen und auf Schiffswerften zu arbeiten und im Leben vorwärtszukommen.
    Tatsächlich bestand das ganze Publikum aus strebsamen, ordentlichen Bürgern: Ladenbesitzern und Angestellten und Drogisten mit ihren ordentlichen Frauen und artigen Kindern. In den Tagen ihres Vaters waren solche Leute zornig und hager und schäbig gewesen, zumindest in Whitechapel, mit Stöcken in den Händen und Dolchen in den Gürteln. Aber unter den Radikalen hatten sich die Verhältnisse und die Zeiten geändert, und heute hatte sogar Whitechapel seine festgeschnürten, sauber gewaschenen Frauen und seine adrett gekleideten, ihre Taschenuhren konsultierenden Männer, die das Wörterbuch des Nützlichen Wissens und das Journal Moralischer Vervollkommnung lasen und danach trachteten, es zu etwas zu bringen.
    Dann erloschen die Gaslampen in ihren Kupferringen, und das schmalbrüstige Orchester schwang sich zu einer faden

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