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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Darbietung von »Komm in die Laube« auf. Mit einem puffenden Geräusch flammte das Kalklicht auf, der Vorhang vor der Kinotrop-Leinwand wurde zurückgezogen, und die Musik über deckte das Klicken der Lochkarten, die in ihre Aufnahmeschlitze fielen. Rüschen und Falbeln wuchsen wie schwarze Eisblumen an den Rändern der Leinwand. Sie rahmten hohe Buchstaben in einer scharfkantigen Maschinenfraktur ein, schwarz auf weißem Grund:
    Editions
Panoptique
präsentiert
    Und unter dem Kinotrop kam Houston von links auf die Bühne. Eine massige, düstere Gestalt, die zum Rednerpult in der Mitte der Bühne hinkte. Er blieb im Halbdunkel, ehe er in den grellen, scharf umgrenzten Schein von Micks Kalklicht trat.
    Sybil beobachtete ihn aufmerksam, neugierig auf den Mann, der Micks Brotgeber war. Die Unionisten kleideten sich meist wie normale Briten, wenn sie das Geld dafür hatten, während Leute aus der Konföderation eine Vorliebe für Extravaganz hatten, die die Grenzen der Wohlanständigkeit bisweilen hinter sich ließ; nach Houston zu urteilen, waren die Texaner noch seltsamer und verrückter. Er war ein großer, fleischiger Mann mit rotem Gesicht, in schweren Stiefeln, eine lange, derb gewebte, aber barbarisch gestreifte Decke wie einen Umhang um die breiten Schultern gelegt. Rot und schwarz und erdbraun hing die Decke bis auf den Bühnenboden wie die Toga eines Tragöden. In der rechten Hand hielt er einen dicken Mahagonistock, den er jetzt umherschwenkte, als ob er ihn nicht zum Gehen brauchte, aber Sybil sah, dass seine Beine zitterten; die goldenen Fransen an den bestickten Säumen seiner Hose verrieten es.
    Er erreichte das Rednerpult, wischte sich die Nase und trank etwas aus einem Glas, das offensichtlich nicht Wasser war. Das Licht über ihm wurde abgedunkelt, und das Kinotrop projizierte eine farbige Abbildung; den britischen Löwen und ein Rind mit ausladenden Hörnern. Die Tiere verbrüderten sich unter kleinen gekreuzten Fahnen, dem Union Jack und der Fahne von Texas mit dem einzelnen Stern, beide in leuchtendem Rot und Blau und Weiß. Houston schien hinter seinem Rednerpult etwas einzustellen; einen kleinen Bühnenspiegel, vermutete Sybil, um das Kinotrop hinter sich im Auge zu behalten.
    Die Bildwiedergabe schaltete auf Schwarz-Weiß um, und die Zeilen flimmerten wie fallende Dominosteine. Eine Porträtbüste erschien in schattierten, scharfkantigen Umrissen: eine hohe, kahle Stirn, dichte Brauen, eine dicke Nase zwischen einem buschigen Backenbart, der die Ohren verbarg. Der dünnlippige Mund war fest geschlossen, das energische Kinn vorgeschoben. Unter der Büste erschienen die Worte GENERAL SAM HOUSTON .
    Ein zweites Kalklicht flammte auf und strahlte Houston am Rednerpult an. Sybil klatschte heftig – und hörte als Letzte damit auf.
    »Ich danke Ihnen sehr herzlich, meine Damen und Herren«, begann Houston. Er hatte eine tiefe, dröhnende Stimme und war offensichtlich ein geübter Redner, doch tat sein gedehnter ausländischer Akzent der Wirkung seiner Rede Abbruch. »Sie erweisen einem Fremdling große Ehre.« Houston überblickte das Parkett des Garrick-Theaters. »Ich sehe, wir haben heute Abend viele Herren aus den Streitkräften Ihrer Majestät im Publikum.« Er schlug die umgehängte Decke ein wenig zurück und stellte die schimmernden Orden auf seiner linken Brustseite zur Schau. »Ihr berufliches Interesse ist sehr erfreulich, meine Herren.«
    Die Kinder in der Reihe vor Sybil wurden unruhig. Ein kleines Mädchen quiekte vernehmlich, als einer seiner Brüder es knuffte. »Und ich sehe, wir haben hier auch einen zukünftigen britischen Kämpfer!« Eine Welle überraschter Heiterkeit ging durch das Publikum. Houston warf einen schnellen Blick in seinen Spiegel, dann stützte er sich auf das Rednerpult und zog die buschigen Brauen in großväterlichem Charme zusammen. »Wie heißt du denn, mein Sohn?«
    Der unartige Junge richtete sich bolzengerade auf. »Billy, Sir«, rief er unerschrocken. »William Greenacre, Sir.«
    Houston nickte ernst. »Sag mal, mein Sohn, würdest du gern von daheim weglaufen und unter Indianern leben?«
    »O ja, Sir!«, platzte der Junge heraus, dann aber: »O nein, Sir!« Das Publikum lachte wieder.
    »Als ich ungefähr in deinem Alter war, mein Junge, da war ich auch voller Tatendrang und Fantasie. Und beide bestimmten das Leben, das ich führen sollte.« Das Kinotrop hinter dem Kopf des Generals zeigte eine farbige Landkarte mit den Umrissen der verschiedenen Staaten

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