Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
unter, in einem anschwellenden Stimmengewirr von Überraschung und Zustimmung. Von der Galerie kamen laute, jungenhafte Buhrufe. Insgesamt ein hübscher kleiner Spaß.
Vielleicht, dachte Sybil, hatte sie ihre Geschichte glaubhaft vorgetragen und in einigen der Zuhörer Mitleid mit ihr geweckt. Die meisten schrien und scherzten ein wenig, erfreut über etwas unerwartete Lebendigkeit.
»Sam Houston war immer ein wahrer Freund Englands!«, schrillte Sybils Stimme über den erhobenen Gesichtern der Menge. Die Worte gingen in der allgemeinen Unruhe unter, und sie hob den Handrücken an ihre feuchte Stirn. Mick hatte ihr keine weiteren Zeilen aufgetragen, also ließ sie die Knie einknicken und fiel mit flatternden Augenlidern in ihren Sitz zurück.
»Bringen Sie Miss Jones an die frische Luft!«, befahl Houston mit aufgeregt bellender Stimme. »Die Dame ist überwältigt!« Sybil sah durch halb geschlossene Lider, wie sich un deutliche Gestalten zögernd um sie sammelten. Dunkle Fracks, eine raschelnde Krinoline, maskuliner Tabakgeruch und Gardenienparfüm – dann ergriff ein Mann ihr Handgelenk und fühlte mit festem Fingerdruck nach dem Puls. Eine Frau fächelte Sybil Luft zu und schnalzte missbilligend. Lieber Him mel, dachte Sybil und drückte sich tiefer in ihren Sitz, die fette Mama aus der Reihe vor ihr, mit diesem unleidlichen öligen Blick der guten Frau, die ihre moralische Pflicht erfüllt. Regungen von Scham und Abscheu stellten sich ein, und einen Augenblick lang fühlte sie sich wirklich schwach und überließ sich willenlos der wärmenden Fürsorge von einem halben Dutzend Helfern, die sie in gemeinsamer Vorspiegelung von Kompetenz umdrängten, während Houston am Rednerpult weiterdonnerte, heiser vor Empörung.
Sybil ließ sich auf die Beine helfen. Houston zögerte, als er es sah, und es gab verstreuten, höflichen Applaus für sie. Sie fühlte sich schwach, unwürdig; sie lächelte matt und schüttelte den Kopf und wünschte, sie wäre unsichtbar. Erschöpft lehnte sie den Kopf an die wattierte Schulter des Mannes, der ihr den Puls gefühlt hatte. »Sir, wenn ich gehen könnte, bitte«, flüsterte sie.
Ihr Retter nickte energisch, ein kleiner Bursche mit schlauen blauen Augen. Sein langes, ergrauendes Haar war in der Mitte gescheitelt. »Ich werde die Dame nach Hause bringen«, erklärte er den anderen, warf sich ein Abendcape um die Schultern, setzte eine Bibermütze auf den Kopf und bot ihr seinen Arm. Zusammen gingen sie den Mittelgang hinauf, Sybil mit wankenden Knien, schwer auf ihn gestützt, den Blick niedergeschlagen. Die Zuhörer waren jetzt entflammt. Vielleicht hörten sie Houston zum ersten Mal als einen Mann, der etwas zu sagen hatte, statt als ein sonderbares amerikanisches Ausstellungsstück.
Ihr kleiner Begleiter hielt den schmutzigen Samtvorhang auf, und Sybil kam hinaus in das kalte Foyer mit seinen abblätternden goldenen Amoretten und feuchtfleckigen Wänden aus Stuckmarmor. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, Sir, mir zu helfen«, sagte Sybil, als sie bemerkte, dass ihr Begleiter aussah, als könnte er Geld haben. »Sind Sie Mediziner?«
»Ich habe mal Medizin studiert«, sagte er achselzuckend. Rote Flecken waren auf seinen Wangen.
»Es verleiht einem Herren eine gewisse Vornehmheit«, sagte Sybil ohne einen bestimmten Zweck, nur um die Stille auszufüllen. »Eine Ausbildung dieser Art, meine ich.«
»Kaum, Madam. Ich habe all meine Zeit mit Versemachen vergeudet. Ich muss sagen, dass Sie wieder bei Kräften scheinen. Es tut mir leid, dass Ihren unglücklichen Bruder ein so hartes Geschick getroffen hat.«
»Danke, Sir.« Sybil sah ihn von der Seite an. »Ich fürchte, es war sehr vorlaut von mir, aber General Houstons Beredsamkeit riss mich mit.«
Er schoss ihr einen undurchsichtigen Blick zu, den Blick eines Mannes, der argwöhnt, dass eine Frau ihn übers Ohr haut. »In aller Aufrichtigkeit«, sagte er, »ich kann Ihre Begeisterung nicht ganz teilen.« Er hustete explosiv in ein zusammengedrücktes Taschentuch und wischte sich den Mund. »Diese Londoner Luft wird mich noch umbringen.«
»Nichtsdestoweniger danke ich Ihnen, Sir, obwohl ich bedaure, dass wir einander nicht vorgestellt worden sind …«
»Keats«, sagte er. »Mr. Keats.« Er zog einen tickenden silbernen Chronometer aus der Tasche, ein Ding mit mehreren Zifferblättern von der Größe einer kleinen Kartoffel, und las die Zeit ab. »Ich kenne mich in der Gegend nicht gut aus«, sagte er distanziert.
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