Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Haymarket, seltsam im hellen Licht des Sommertages, da die heiseren Huren um diese Zeit nicht da waren und schliefen. Neugierig ging er weiter. Bei Tag sah alles sehr viel anders aus, schäbig und seiner selbst überdrüssig. Ein Zuhälter, dem Mallorys schlendernder Schritt aufgefallen war, machte sich an ihn heran und offerierte ihm eine Packung Kondome als sicheren Schutz gegen das Damenfieber.
Mallory kaufte das Päckchen und steckte es in seinen Koffer.
Darauf wandte er sich nach rechts und durchquerte den lärmenden Pulk der verkehrsreichen Pall Mall, deren Gehsteige von gusseisernen schwarzen Gitterzäunen exklusiver Clubs gesäumt waren. Die Gebäude mit ihren Marmorfassaden standen zumeist ein gutes Stück zurückgesetzt, dem unmittelbaren Straßengetriebe entzogen. Abseits der Pall Mall, am anderen Ende des Waterloo Place, stand das Denkmal des Duke of York. Der große alte Duke of York, der zehntausend Mann be fehligt hatte, war jetzt eine eher unscheinbare, rußgeschwärzte Gestalt auf einer runden Säule, die vom Kuppelbau der Royal Society überragt wurde.
Mallory überquerte die Pall Mall auf einer hölzernen Fußgängerbrücke, während unter ihm schwitzende Erdarbeiter mit Schaufeln und einem Dampfbagger die Kreuzung aufrissen. Sie bereiteten das Fundament eines neuen Denkmals vor, wie er sah, unzweifelhaft zum Ruhm des Sieges auf der Krim. Dann ging es die Regent Street zum Circus hinauf, wo Ströme von Menschen endlos aus den rußigen Marmorportalen der Untergrundbahn kamen. Er ließ sich von der menschlichen Strömung mitreißen.
Ein gewaltiger Gestank herrschte hier, ein kloakenhafter Dunst wie von gebranntem Essig, und zuerst dachte Mallory, dass dieses Miasma von der Menge selbst ausging, von den baumelnden Falten und Spalten ihrer Kleider, den Ritzen ihrer Schuhe. Es hatte eine gewissermaßen unterirdische Intensität, eine heftig reagierende Chemie von heißer Schlacke und giftigem Tröpfeln, faulenden Senkgruben und undichten Gasleitungen, und etwas verspätet wurde ihm klar, dass es von den unterirdischen Zügen wie durch Kolben aus den heißen Eingeweiden Londons gepresst wurde. Dann wurde er vom Passantenstrom in die Jermyn Street getragen, und wenige Augenblicke später witterte er die wohlriechenden Waren von Paxton & Whitfield’s Käsespezialitäten. Er eilte über die Duke Street, blieb unter den gusseisernen Lampen des Cavendish-Hotels stehen, um die Schließen seines Koffers zu kontrollieren, dann strebte er mit ausgreifenden Schritten seinem Ziel zu, dem Museum für praktische Geologie.
Es war ein imponierendes, festungsähnliches Bauwerk; Mallory fand, dass es den Geist seines Kurators getreulich widerspiegel te. Er trottete die Stufen hinauf in eine willkommene steinerne Kühle. Nachdem er sich schwungvoll in das ausliegende, ledergebundene Gästebuch eingetragen hatte, marschierte er weiter in den weiträumigen Hauptsaal. Ausstellungsvitrinen aus Mahagoni und geschliffenen Glasscheiben säumten die Wände. Licht strömte durch die mächtige Kuppel aus Stahl und Glas herab, wo ein einsamer Fensterputzer in seinem angeschnallten Schutzgürtel baumelte und in niemals endender Routine eine Scheibe nach der anderen putzte.
Im Erdgeschoss des Museums waren die Wirbeltiere zur Schau gestellt, zusammen mit verschiedenen instruktiven Großdarstellungen geologischer Schichtenfolgen. Darüber, in einer Galerie mit Säulen und Geländer, befanden sich kleinere Ausstellungsräume, in denen die Wirbellosen gezeigt wurden. Die Zahl der Besucher war erfreulich groß, mit überraschend vielen Frauen und Kindern, darunter einer ganzen uniformierten Klasse aus einem Knabeninternat. Sie studierten den Inhalt der Vitrinen mit ernster Aufmerksamkeit, angeleitet von rot befrackten Museumsführern.
Mallory schlüpfte durch eine hohe, unmarkierte Tür und durchwanderte einen von verschlossenen Lagerräumen flankierten Korridor. An dessen Ende drang die gebieterische Stimme des Kurators durch die geschlossene Tür seines Büros. Mallory klopfte, dann lauschte er lächelnd, während die Stimme eine besonders klangvolle rhetorische Periode vollendete. »Herein«, ertönte die Stimme des Kurators. Mallory folgte der Aufforderung, und Thomas Henry Huxley erhob sich, um ihn zu begrüßen. Sie schüttelten einander die Hände. Huxley hatte seinem Sekretär diktiert, einem bebrillten jungen Mann mit dem Aussehen eines ehrgeizigen graduierten Studenten. »Das ist einstweilen alles, Harris«, sagte
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