Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
könnten. Sie sind dazu gezwungen, auf Alternativen zu setzen. Und so ist es wenig verwunderlich, dass gerade in den sogenannten Schwellenländern, die auf dem Sprung von einem Entwicklungs- zu einem Industrieland stehen, die Nutzung und Förderung freier Software und freier Lizenzen sehr viel mehr verbreitet ist als bei uns. Anders gesagt: Wir sind dafür sowohl zu faul (»funktioniert ja«) als auch zu reich. Wir können uns die Millionen notwendiger Lizenzgebühren für proprietäre Software leisten. Allerdings findet da auch ein Umdenken statt. Seit 2003 gibt es vom Bundesinnenministerium einen »Leitfaden für die Migration von Software«. Städte wie München haben Open-Source-Projekte laufen, in diesem Fall das LiMuxProjekt (der Name ist eine Mischung aus Linux und München). Das Bewusstsein dafür ist vorhanden, dass diese Abhängigkeit gefährlich ist.
Digitale Nachbarschaftshilfe
Sich von zentralen Instanzen und geschlossenen Infrastrukturen unabhängiger zu machen, das ist auch das Ziel einer ganz anderen Initiative, der Bewegung für freie Funknetzwerke, in Deutschland vor allem als »Freifunk« bekannt, in Österreich als »Funkfeuer«. Die Idee ist, dass Infrastrukturen geschaffen werden, bei denen der eigene Internetzugang mit den Nachbarn geteilt werden kann. Zugangsinfrastrukturen gehören in der Regel Unternehmen, die die Nutzung als Dienstleistung anbieten.Das hat für Nutzer viele Vorteile. Man muss zum Beispiel nicht selbst Kabel unter die Erde legen. Aber in vielen Gegenden gibt es zu wenig finanziellen Anreiz für solche Unternehmen, schnelle und bezahlbare Infrastrukturen zu schaffen – sei es in kleinen Dörfern oder in Afrika oder mitten in unserer bundesdeutschen Hauptstadt. Kabel zu verbuddeln, das rechnet sich manchmal einfach nicht. Aber was macht man dann?
In Berlin gab es trotz Internetbooms bis weit in die nuller Jahre in vielen Bezirken kein bezahlbares, schnelles Internet, und auch heute noch verzweifeln viele an den weißen Flecken in der Stadt. Das Problem dieser Bezirke sind in der Regel die Glasfaserkabel, die nach der Wende verlegt wurden. Erst später wurde DSL als günstige Technologie populär. DSL baute aber auf den alten Kupferkabeln auf, die man nach der Wende aussortiert hatte, weil alle von ISDN schwärmten. Vor allem in den preiswerten Vierteln des ehemaligen Ostteils, wo viele junge und technikbegeisterte Menschen lebten, bekam man deshalb kaum anständige Internetzugänge, zumindest wenn man nicht für Tausende Euro pro Monat eine Standleitung im Glasfasernetz mieten wollte. Glasfaser ist eigentlich viel schneller als Kupfer, doch die Anschlusskosten sind enorm. Speziell die von der Deutschen Telekom verbuddelte Leitungstechnik OPAL war nicht für Internetzugänge, sondern für Telefonbetrieb ausgelegt.
Daraufhin wuchs bei einigen Menschen die Motivation, eigene Infrastrukturen aufzubauen und damit das Problem selbstständig zu lösen. Mittels Richtfunkstrecken, teilweise aus alten Blechbüchsen, oder, wenn man mehr Geld zur Verfügung hatte, auch mit professionellen Antennen, konnte übers Dach eine Funkverbindung zu anderen Orten aufgebaut werden, wo es schnelle Leitungen gab. Wohnte man in Friedrichshain und hatte Zugang zum Dach, ergab sich so die Möglichkeit, die Dächer von Freunden in Mitte oder Kreuzberg »anzufunken«. Wenn der direkte Weg durch andere Gebäude versperrt war, gab es vielleicht die Möglichkeit eines Umweges über andere Knotenpunkte, die von beiden Dächern aus sichtbar waren.
Aktivisten aus der Freifunk-Community suchten Orte, die als Knotenpunkte infrage kamen. Kirchtürme sind naturgemäß geeignet, auch Gebäude der öffentlichen Verwaltung überragen ihre Nachbarschaft oft. Es gab weitere ganz konkrete Probleme.Man musste den Verantwortlichen erklären, dass man Zugang zu einer Steckdose benötigte, weil schließlich auch die Technik mit Strom versorgt werden will – was noch nicht über die Luft geht. Den Aktivisten gelang es aber, Zugang zu zahlreichen Gebäuden zu erhalten und dort Antennen aufzubauen. Mit der Zeit spannte sich ein immer größeres Netz über Berlin, Knoten bildeten sich auf besonders hohen Häusern, die die unterschiedlichen Netze zusammenführten. Der »Berlin Backbone« umfasst mittlerweile mehr als 1000 Einzelknoten, die miteinander kommunizieren.
Dabei gibt es auch viele Ein- und Ausgänge zum »richtigen Internet«. Diese entstehen, wenn sich Menschen, die eine DS L-Leitung zu Hause haben, bei
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