Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
Stelle im Text wurde es schwieriger. Er musste zurücktreten und verlor seinen Doktortitel.
Guttenberg hatte die geistige Leistung anderer als seine eigene ausgegeben: Statt die Quellen kenntlich zu machen, was bei seinem »Werk« zugegebenermaßen ziemlich komisch gewesen wäre, da fast zwei Drittel der Arbeit aus Übernahmen der Werke anderer bestand, verschwieg er sie. Das gilt als Plagiat, als geistiger Diebstahl. Mit einem geistigen Diebstahl kann man sich ebenso wie mit einem Diebstahl von materiellen Gütern einen Vorteil verschaffen, auf den man eigentlich keinen Anspruch hat, weil dem keine eigene Leistung zugrunde liegt. Im Fall des Barons zu Guttenberg war es der Doktortitel. Eine Doktorarbeit soll die Fähigkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Leistung des Verfassers zeigen. Das war hier nicht der Fall. So weit, so einfach. Aber so einfach ist es nicht immer.
In der Geschichte wimmelt es von Plagiatoren und Remixern. Wer will, kann sogar die Bibel als gewaltiges Plagiat betrachten, in dem Autoren über Jahrhunderte alte Überlieferungen aufgegriffen und in etwas Neues verwandelt haben. Kreativität und Erfindergeist sind keine isolierten Prozesse. Sie basieren auf dem Wissen und dem Werk früherer Generationen. Das gilt auch für berühmte Fälle der Gegenwart. ›Your Woman‹, ein Song des Briten Jyoti Prakash Mishra, den er unter dem Namen White Town in seinem Heimstudio am Computer konzipierte, stürmte im Januar 1997 die britischen Popcharts. Mishra hatte an seinem damals schon alten Atari 1040 STF M-Heimcomputer verschiedene Elemente aus älteren Werken mit anderen und eigenen Ideen verknüpft. Er bediente sich unter anderem an einem Sample, einer Tonfolge, aus den 1930ern: ›My Woman‹ war ein Song des südafrikanischen Jazzers Al Bowlly gewesen. Jyoti Mishra rührte dies alles mit äußerst simpler Technik neu zusammen und hatte Erfolg damit. Die Technik hatte es möglich gemacht: mit Hilfedes Remix von vorhandenem Material und eigenen Einfällen war etwas Neues entstanden, das dem Zeitgeist entsprach. Der Song landete in Großbritannien an der Spitze der Charts. Für Mishra hatte die Nutzung alter Ideen keine rechtlichen Folgen.
Anders war es in einem anderen Fall. Das Stück ›Down Under‹ der australischen Gruppe Men at Work aus dem Jahr 1982 ist ein Welthit. Es enthält Flötenpassagen mit der Melodie eines australischen Kinderliedes aus dem Jahr 1934, an dem ein australischer Musikverlag die Rechte hält. Dieser Musikverlag erhob Ansprüche auf Lizenzgebühren für die Nutzung des Kinderliedes im Song von Men at Work, rückwirkend seit der Veröffentlichung 1982. Und diese Ansprüche wurden dem Verlag auch gerichtlich zuerkannt, nicht ab 1982, aber ab 2002. Da mit diesem Song bis heute Millioneneinnahmen erzielt werden, ist das immer noch eine erhebliche Summe an Tantiemen. 1982 lag die Entstehungszeit des Liedes bereits fast 50 Jahre zurück. Und es ist evident, dass die Zitate aus dem Kinderlied Bestandteil eines völlig eigenen schöpferischen Werks der Gruppe Men at Work waren.
Auch der Nummer- 1-Chart -Hit des vergangenen Jahreswechsels ›Somebody that I used to know‹ des Australobelgiers Gotye besteht teilweise aus fremden Elementen. Der Musiker gab sich jede erdenkliche Mühe, die Rechtslage zu klären – scheiterte aber bei einem Sample. Die Folge: Irgendjemand fand den Originalmusiker, erwarb von diesem Rechte und forderte vom neuen Star eine erkleckliche Summe. Der Originalurheber sieht davon aber auf jeden Fall nichts mehr.
Wo fängt Kreativität an, wo hört sie auf? Ist ein einzelner Satz, eine einzelne Notenfolge ein Werk? Es gibt Gerichte, die dies bejahen, wie man sieht. Es gibt simple Tonfolgen, deren Schutz durch die Inhaber der Urheberrechte erfolgreich eingeklagt wird. Für solche Fälle gibt es ein juristisches »Zauberwort«. Es heißt »Schöpfungshöhe«. Erst ab einer gewissen »Schöpfungshöhe« ist ein Werk urheberrechtlich geschützt. Was auch immer das heißen soll. Der Begriff ist so vage, dass auch Gerichte oft nicht genau wissen, wie diese Höhe einzustufen ist. In Deutschland wird sie so streng ausgelegt, dass jede noch so amateurhafte Fotografie einen dem Urheberrecht verwandten Schutz genießt. Doch nicht nur Einzelne erheben Anspruch auf die Wahrung des Urheberrechts, sondern auch Unternehmen.
Unternehmen als Urheber
In dem Streit zwischen Apple und Samsung um die Klone des iPad geht es um etwas Ähnliches wie
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