Die digitale Gesellschaft - Lüke, F: Die digitale Gesellschaft
hineinkommen, die es gab und die in ihrer »Forschungsgemeinde« gelesen wurden. Aufgrund des begrenzten Platzes führten viele wissenschaftliche Zeitschriften Hürden für die Veröffentlichungen ein. Die gängigste ist das sogenannte Peer Review: Andere Wissenschaftler müssen einen Artikel vor seinem Erscheinen in einer anonymen Version erst für gut befinden, bevor er in der entsprechenden Zeitschrift erscheinen darf. Diese Art des Qualitätsmanagements war zu Zeiten begrenzten Platzes sinnvoll und richtig. Aber wie passt das noch zum Internetzeitalter? Wer etwas erforscht hat, könnte darüber endlos berichten, für alle und jedermann zugänglich – im Internet. Doch das ist nach wie vor unüblich.
Denn die Fachzeitschriften haben in der Welt der Wissenschaft ihre Rolle gut besetzt: In fast jeder wissenschaftlichen Disziplin gibt es besonders wichtige Publikationen. Und für die Wissenschaftler ist das Erscheinen weit über den Wert der Kommunikation mit ihren Kollegen hinaus zu etwas anderem geworden: zu einem Reputationsmerkmal. Wer als Naturwissenschaftler in ›Science‹ veröffentlicht, als Mediziner in ›Lancet‹ oder als Volkswirt im ›American Economic Review‹, der kann sich auf die Schulter klopfen lassen: Nur die Besten der Besten werden auf das knapp gehaltene papierne Gut gelassen. Ob das immer zutrifft, ist dabei zweitrangig: Es reicht, dass die wissenschaftliche Gemeinde daran glaubt. Und wer in den »richtigen« Journalen schreibt, der wird wiederum häufiger von seinen Kollegen zitiert, gilt damit als wichtiger und kann damit vielleicht mehr Forschungsmittel akquirieren … Es ist ein Kreislauf, der sogenannte »Impact Factor«, der »Wirkungsfaktor«, von dem einige wenige überproportional profitieren und von dem anderehoffen, irgendwann einmal partizipieren zu dürfen und dann ebenfalls zu profitieren.
Wer gibt diese Forschungszeitschriften heraus? Die größten Herausgeber von wissenschaftlichen Fachzeitschriften sind private Verlage. ReedElsevier und Springer – nicht zu verwechseln mit dem Zeitungshaus Axel Springer – sind zwei der großen Akteure auf diesem Gebiet. Und diese Verlage lassen sich ihre Dienstleistung teuer bezahlen: Die wissenschaftlichen Fachzeitschriften kosten die Bibliotheken ein Vermögen, sind so teuer, dass viele Bibliotheken sich den Bezug der Zeitschriften nicht mehr uneingeschränkt leisten können. Das ist insbesondere für die Lehre ein Problem, denn wenn die Studierenden in ihrer Ausbildung keinen Zugang zu den aktuellen wissenschaftlichen Fachzeitschriften haben, wie sollen sie dann an den aktuellen Diskursen teilhaben? Hierdurch findet eine Spaltung statt: in Studenten reicher und armer Universitäten, wobei Letztere nur noch eingeschränkten Zugriff auf aus Steuermitteln finanzierte Forschung haben.
Für die Verlage ist diese Situation hingegen eine Lizenz zum Gelddrucken: Sie haben ein Quasi-Monopol auf die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Ergebnissen, die vorwiegend aus öffentlichen Geldern bezahlt wurden. Springer Science + Business gibt an, dass sie im Jahr 2010 ein Drittel aller Einnahmen als Betriebsgewinn gemacht hätten – 294 Millionen Euro vor Steuern. Und ReedElsevier, der Gigant auf diesem Markt, steht dem nur wenig nach: Bei 7 Milliarden Euro Umsatz erzielten sie 2010 fast eineinhalb Milliarden Euro Gewinn.
Die Verlage haben kaum Kosten, da die Gutachter für die Journale im Regelfall wie die Autoren aus öffentlichen Geldern bezahlt werden und für die Artikel im Regelfall kein Geld bezahlt wird. Es klingt wie das perfekte Geschäftsmodell: wenig tun, viel verdienen. Das alles auf Kosten der Steuerzahler, die von all dem wenig mitbekommen. Immerhin gibt es Tendenzen, diese Fehlentwicklung umzusteuern.
Unter dem Schlagwort »Open Access«, also freier Zugang, haben sich Wissenschaftler eine Lösung ausgedacht. Wie wäre es, wenn sie nicht mehr über diese Zeitschriften, sondern über andere, oft digitale Verbreitungswege ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen? Wäre es nicht sogar konsequent, wenn diestaatliche Finanzierung von Forschung sogar an die Bedingung geknüpft wird, dass die Ergebnisse für jedermann zugänglich sind?
Technisch ist dies heutzutage kein Problem mehr. Das einzige Hindernis ist die besagte Reputation, die von der Publikation in den elitären Fachjournalen abhängig ist. Und solange die Spitzenwissenschaftler nicht davon abgehen oder der Gesetzgeber die Vergabe öffentlicher
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