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Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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fuhren sie kreuz und quer durch die Stadt, hielten an, wo es Jernigan ratsam erschien, sahen sich um, stiegen wieder ein und fuhren weiter. Ken hielt die Augen offen, aber nirgendwo sah er ein Gesicht, das dem Nenus, Koris oder Linths auch nur im entferntesten glich.
    Cidade Palamera war eine eigenartige Stadt. Infolge ihrer Isolation hatte sie manche Züge bewahrt, die in irdischen Städten gleichen Ausmaßes längst verschwunden waren. Die breiten Hauptstraßen waren mit einem Funkleitsystem ausgestattet, aber sie führten mitten durch dichtbevölkerte Gegenden. Das Prinzip, die Innenstadt von allem oberirdischen Fahrzeugverkehr freizuhalten, hatte sich hier noch nicht durchgesetzt. Dafür gab es winklige, uralte Seitenstraßen, begrenzt von altersgrauen, schmalbrüstigen Gebäuden, die den motorisierten Verkehr automatisch in seine Schranken wiesen, weil sie zu schmal waren, um selbst das kleinste Fahrzeug einzulassen.
    Es waren diese Seitenstraßen, in denen sich das eigentliche Leben von Cidade Palamera abspielte, und wann immer Jernigan anhielt, machte er Ken darauf aufmerksam, daß er sein Augenmerk mehr auf die dunklen Winkel der engen Gassen als auf die lichtüberfluteten Hauptverkehrsadern richten solle.
    Der erste Tag brachte keinerlei Erfolg. Als die Sonne sank, um den Rest ihrer vierunddreißig Stunden langen Bahn unterhalb des Horizonts zu beschreiben, kehrten Ken und Jernigan zu ihrem Hotel zurück, Ken halbtot und zerschlagen von der Anstrengung und der Fülle der neuen Eindrücke, die in so kurzer Zeit auf ihn eingestürmt waren.
    Jernigan schien sich über Nacht von irgendwoher neue Anweisungen geholt zu haben, denn als sie am nächsten Morgen aufbrachen, wandte er sich in eine völlig neue Richtung. Sie begannen, die Wohngebiete abzusuchen, die sich am nordöstlichen Rand der Stadt bis zu den himmelhohen Felsenwänden erstreckten, die zu jenem schwindelnd hohen Gebirgskamm aufstiegen, der das Rückgrat der schmalen Insel bildete.
    Was immer auch der Tip gewesen war, den Jernigan erhalten hatte, er war nichts wert. Sie verbrachten einen ganzen Tag, die endlos langweiligen Straßen der Wohngegend entlangzukreuzen, und hatten, als es dunkel wurde, keine einzige Spur, geschweige denn einen handfesten Erfolg zu verzeichnen. Ken hatte inzwischen gelernt, den roten Knopf seines Mikropunktors zu drücken, wann immer er spürte, daß seine Konzentrationsfähigkeit nachzulassen begann (ein sicheres Anzeichen dafür, daß das künstlich aktivierte Wahrnehmungszentrum in seiner Tätigkeit zu erlahmen anfing). Aber gleichzeitig wuchs seine Sorge um Dado.
    Der nächste Tag war ebenso erfolglos, und in gleicher Weise der vierte, fünfte und sechste. Die Abstände, in denen Ken den Mikropunktor betätigen mußte, waren länger geworden. Jernigan gab zu, daß, wenn er sich noch lange auf dieser Welt aufhielt, das künstlich aktivierte Wahrnehmungszentrum die Rolle des primären Zentrums übernehmen und er eine Behandlung brauchen würde, um in seine eigene Welt zurückzukehren.
    Aber dazu kam es nicht. Sie hatten die Stadt Dutzende von Malen durchstreift. Es hatte Augenblicke gegeben, in denen entweder Ken oder Jernigan irgendwo jemand zu sehen glaubte, der Linth, Kori oder Nenu ähnlich sah – und jedesmal, wenn er näher kam, war er enttäuscht worden und hatte zugeben müssen, daß er sich versehen hatte.
    Aber diesmal gab es keinen Zweifel.
    Es war am Mittag des siebten Vierunddreißigstundentages, als Jernigan den schweren Wagen am Rand der Straße unmittelbar vor einem kleinen Lokal parkte, das mit schreiender Leuchttafel Lunches (almôços) zu billigen Preisen versprach. Sie stiegen aus und sahen sich um, um unter den auf dem Trottoir im Schutz eines halbtransparenten Schattenfelds aufgestellten Tischen nach einem freien Platz umzusehen, als sie Kori entdeckten.
    Er saß allein an einem der Tische und hatte sie nicht bemerkt.

 
9
     
    Sie näherten sich dem Tisch bis auf wenige Schritte. Kori war noch immer ausschließlich mit seiner Mahlzeit beschäftigt. Jernigan brachte eine winzige Waffe zum Vorschein, die fast in seiner Hand verschwand. Ohne daß jemand es bemerkte, feuerte er. Kori gab einen krächzenden Laut von sich und sank vornüber, mit dem Gesicht in den halbvollen Teller. Jernigan und Ken eilten auf ihn zu.
    »Dieser Mann ist krank!« rief Jernigan laut. »Man muß ihn zum Arzt schaffen!«
    Die Gäste horchten auf. Im Nu bildete sich ein Kreis von Neugierigen um Koris Tisch, und Ken und

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