Die Dilettanten
Helmut Schmidt die Forderungen der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss, und 1993 macht er bei einer SPD-Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz erfolgreich Stimmung gegen den späteren Kanzler Gerhard Schröder und verhilft Rudolf Scharping zum Sieg.
Aus all diesen Gründen ist es für die Führung ebenso wie für die Parteilinken der SPD noch schwieriger als bei allen anderen Abtrünnigen, Ulrich Maurer als Fahnenflüchtigen oder gar als diktaturlüsternen Bolschewisten darzustellen: Er vertritt ja heute nicht wesentlich anderes als die frühere SPD-Meinung. Bei der Partei Die Linke ist er Strippenzieher und Königsmacher. »Wer mich als Prätorianer-Führer hat, der hat schon fast gewonnen«, sagt er unter Anspielung auf jene Elitegarde zum Schutz des römischen Kaisers, die als Kaisermacher ebenso wie als Kaisermeuchler galt. Überhaupt liebt er Vergleiche mit dem alten Rom, zum Beispiel bei seinen Analysen über »den Zerfall moderner Demokratien, den Verlust der gesellschaftlichen Bindekräfte, die Maßlosigkeit der Reichen und die Deklassierung der Unterschichten«. 140
Fazit: Bei einer rot-roten Annäherung auf Bundesebene dürfte Ulrich Maurer eine Schlüsselrolle spielen.
4. Endlosschwätzer
Sie fordern, bekräftigen, unterstreichen, regen an, drängen darauf, erinnern, weisen zurück, verbitten sich, stellen klar, verdeutlichen, wiederholen, wiederholen, wiederholen.
Diese politischen Dadaisten, die zu allem irgendetwas Sinnfreies beizutragen haben, stimmen über alle Parteigrenzen hinwegdarin überein, dass die Basis das Fundament jeder Grundlage sei und dies niemand bestreiten könne.
Ihre Ausdrucksweise ist der Allgemeinplatz, und über ihren Köpfen glaubt man wie im Comic Sprechblasen zu erkennen, deren Grundstruktur offenbar aus Loriots berühmter »Bundestagsrede« stammt.
Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens, und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms.
Ihnen genügt es nicht, zu allem alles zu sagen, sie müssen es auch noch auf allen Kanälen tun. Sie schwadronieren bei
Anne Will
, zanken bei
Hart, aber fair
, empören sich bei
Maybrit Illner
, stammeln auf NTV, faseln bei N24, verlieren im
heute journal
den Faden und finden ihn wieder in den
Tagesthemen
. So wie der Magier die Illusion von der zersägten Frau, so verkaufen sie die Illusion des politischen Gesprächs. Aber so wenig die Frau wirklich zersägt ist, so wenig ist das Politgeschwafel politisch – obwohl das eine wie das andere fast danach aussieht.
Wolfgang Bosbach (CDU), Rechtsanwalt, Fraktionsvize
Der Schnattermann
Wolfgang Bosbach, geboren am 11. Juni 1952 in Bergisch Gladbach, ist der Schnattermann der Union.
Nach mittlerer Reife und Einzelhandelskarriere bis zum Supermarktleiter macht er das Abitur nach, studiert Jura und ist seit 1991 Rechtsanwalt. Seit 1972 ist er in der CDU, ab 1975 im Kreistag des Rheinisch-Bergischen Kreises, ab 1979 im Stadtrat Bergisch Gladbach, seit 1994 im Bundestag, seit Februar 2000 CDU/CSU-Fraktionsvize. Außerdem sitzt er im Innen- und im Rechtsausschuss.
Wolfgang Bosbach war noch nicht im Big-Brother-Haus und auch noch nicht bei Dieter Bohlens Superstar-Casting. Aber sonst? Schon 2004 wurde er in der CDU-Zentrale als Justizminister, aber auch als Verteidigungsminister gehandelt.
»Ein Bosbach«, sagt man in der Bundestagslobby, »ist der Ab-stand zwischen zwei Talkshows.« Tatsächlich: Wo andere atmen, da quasselt Bosbach. Über Gott und die Welt und wieder über Gott. Mal greift er die türkische Presse scharf an, mal stellt er die Zustimmung zur Erbschaftssteuer in Frage. Mal will er Bundeswehreinsätze im Inneren, mal die Abschaffung des Doppelpasses, mal eine Art »Videoüberwachung für alle«, weil niemand das Recht habe, »unerkannt durch die Stadt zu gehen«. 141 Normalerweise ist das rechtslastige Polizeistaats-propaganda, aber bei Bosbach ist alles halb so wild, denn der hat die Lizenz zum Quatschen.
Er redet viel, wenn der Tag lang ist, und Bosbachs Tag ist sehr lang. Um 5.30 Uhr beginnt das
Morgenmagazin
, um 23.15 Uhr endet
Maybrit Illner
, dazwischen noch
heute
und
Tagesschau
,
heute journal
und
Tagesthemen
, N24, Phoenix und NTV nichtzu vergessen – und immer »schnatter, schnatter, schnatter«, wie ihn
taz
-Autor Michael Ringel treffend
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